Darkover 07 - Die Zeit der Hundert Koenigreiche
und zog sein Schwert aus der Scheide. Erlend legte seine kleine Hand ehrerbietig auf das Heft. Bard wollte ihn schon warnen, nicht die Klinge anzufassen, merkte jedoch, daß der Kleine von selbst vernünftig genug war. Er steckte die Klinge in die Scheide und schwang den Jungen auf seine Schulter.
»Da hat mich nun mein Sohn nach all diesen Jahren im Exil als erster zu Hause willkommen geheißen, und das ist sehr passend«, sagte er. »Komm mit mir, wenn ich meinen Vater begrüße.«
Die Große Halle kam ihm vor, als sei sie seit dem letzten Mal, als er sie gesehen hatte, kleiner und schäbiger geworden. Ein langer, niedriger Raum mit einem Steinfußboden. Die Schilde und Banner von Generationen di Asturiens hingen an den Wänden, und auch Waffen, die zu alt zum Gebrauch waren, wurden dort zur Schau gestellt: Piken und die alten Speere, die für die Nahkämpfe der heutigen Zeit zu klobig waren. Vor Hunderten von Jahren gewobene Gobelins zeigten Götter und Göttinnen. Die Erntegöttin trieb ein Banshee von den Feldern. Hastur schlafend an den Ufern des Sees von Hali, Cassilda an ihrem Webstuhl. Der Steinboden fühlte sich unter den Füßen uneben an. Zu beiden Enden der langen Halle brannten Feuer. Hinten hatten sich die Frauen versammelt, und Bard hörte die Klänge einer Rryl . Vorn stand ein Armsessel, aus dem sich Rafael di Asturien erhob, als Bard mit seinem Sohn in den Armen näher kam.
Dom Rafael trug ein langes Hausgewand aus einem dunkelgrünen Wollgewebe mit Stickereien an Hals und Ärmeln. Alle di Asturiens waren blond, und Dom Rafaels Haar war so hell, daß sich unmöglich sagen ließ, ob es grau wurde oder nicht. Aber sein Bart war weiß. Er sah fast noch genauso aus wie damals, als Bard von ihm Abschied genommen hatte, nur dünner, und seine Augen waren etwas eingesunken, als habe er sich gesorgt.
Er breitete die Arme aus, aber Bard stellte Erlend auf die Füße und kniete vor seinem Vater nieder. Vor keinem der Oberherren, denen er in den sieben Jahren seines Exils gedient hatte, war er jemals niedergekniet.
»Ich bin zurückgekommen, mein Vater«, sagte er, und irgendwie nahm er in seinen Gedanken das Erstaunen seines Sohns darüber wahr, daß er, der bekannte Krieger und Gesetzlose, vor dem Großvater kniete, wie es die Vasallen taten. Er fühlte die Hand seines Vaters auf seinem Haar.
»Nimm meinen Segen, Sohn. Und wenn es überhaupt Götter gibt, seien sie gepriesen, daß sie dich heil zu mir zurückgebracht haben. Doch daran habe ich nie gezweifelt. Steh auf, lieber Sohn, und umarme mich«, sagte Dom Rafael, und Bard gehorchte. Er sah die Falten in seines Vaters Gesicht und fühlte die scharfen Knochen des abgemagerten Körpers. Entsetzt und bestürzt dachte er: Er ist ja schon alt! Der Riese meiner Jugend ist bereits ein alter Mann! Es beunruhigte ihn, daß er größer als sein Vater war und soviel breiter. Er hätte ihn in die Luft heben können wie Erlend!
So schnell waren die Jahre vergangen, während er in fremden Landen Kriege gekämpft hatte, die ihn nichts angingen. Die Hand der Zeit hat auch auf mir schwer gelegen , dachte er und seufzte.
»Wie ich sehe, hat Erlend dich schon begrüßt«, sagte Dom Rafael, als Bard sich zu ihm vor das Feuer setzte. »Doch jetzt mußt du ins Bett, Enkel. Was hat sich die Amme nur dabei gedacht, daß sie dich so spät ins Freie hinausließ?«
»Ich nehme an, sie hat gedacht, ich sei im Bett, denn dort ließ sie mich zurück«, gestand Erlend. »Aber ich fand, es gehöre sich, daß ich meinen Vater begrüße. Gute Nacht, Großvater, gute Nacht, Sir«, setzte er hinzu und verbeugte sich auf seine drollige Art wie ein Großer. Dom Rafael lachte, als Erlend die Halle verließ.
»Was ist er für ein kleiner Hexenmeister! Die Hälfte der Dienstboten fürchtet sich bereits vor ihm. Aber er ist klug und weiß eine Menge für sein Alter, und ich bin stolz auf ihn. Nur wünschte ich, du hättest mir gesagt, daß du Melisandra ein Kind gemacht hattest. Ihr und ebenso mir hätte das zornige Worte von meiner Lady erspart. Ich wußte nämlich nicht, daß Melisandra des Gesichts wegen Jungfrau bleiben sollte. Und so hatten wir alle zu leiden, denn Jerana war schrecklich böse darüber, ihre Leronis so jung zu verlieren.«
»Ich habe es dir nicht gesagt, weil ich es nicht wußte«, erwiderte Bard, »und Melisandras Vorausschau kann schließlich gar so großartig nicht gewesen sein, wenn sie ihr nicht riet, meine Kammer
Weitere Kostenlose Bücher