Darkover 12 - Der verbotene Turm
diesem merkwürdigen Ruck nach oben in der Überwelt, und er sah, wie die Wände rings um sie Gestalt annahmen. Als er das Bauwerk mit Andrew und Dezi geschaffen hatte, ähnelte es einer Schutzhütte für Reisende aus rauem braunem Stein, vielleicht aus dem Grund, weil er es als kurzfristige Unterkunft betrachtete. Bauwerke in der Überwelt waren das, was man sich unter ihnen vorstellte. Nun stellte Damon fest, dass die rauen Steine glatt und schimmernd geworden waren, und unter seinen Füßen befand sich ein schieferfarbener Steinfußboden, nicht unähnlich dem in Callistas kleinem Destillierraum. Von da, wo er im Grün und Gold seiner Domäne stand, konnte er eine Reihe von Einrichtungsgegenständen sehen. Sie wirkten merkwürdig transparent und unstofflich, aber Damon wusste, wenn er versuchte, sich auf einen Sessel zu setzen, würde er sofort Festigkeit und Stabilität gewinnen. Außerdem wäre er bequem und bezogen mit dem Material, das er sich wünschte – Samt oder Seide oder Fell, ganz nach Lust und Laune. Auf einem der Sessel lag Callista, und auch sie war jetzt noch transparent und würde während der Dauer ihres Aufenthalts feste Gestalt annehmen. Andrew und Ellemir waren undeutlicher zu erkennen. Sie schliefen auf Ruhebetten, denn sie waren nur in seinen Gedanken, aber nicht mit ihrem eigenen Bewusstsein in der Überwelt. Doch ihre Gedanken, die Callista ihm zuleitete, waren klar und kraftvoll. Hier waren sie passiv und übertrugen nur ihre Stärke auf Damon. Er ließ sich eine Weile treiben und genoss den ihn tragenden Kreis. Diesmal brauchte er sich nicht bis zur völligen Erschöpfung zu verausgaben. Callista hielt Fäden gleich einem Spinngewebe in ihren Händen, und Damon wusste, das war die Art, wie sie die Kontrolle über seinen in der stofflichen Welt liegenden Körper visualisierte. Wenn seine Atmung versagte, wenn sein Kreislauf unter der verkrampften Haltung litt, wenn es ihn auch nur irgendwo juckte, was seine Konzentration hier in der Überwelt stören konnte, würde sie den Schaden beheben, lange bevor er selbst etwas davon merkte. Von Callista bewacht, war sein Körper hier im Schutz ihrer Landmarke sicher.
Aber er durfte nicht länger verweilen. Kaum hatte er das gedacht, als er sich auch schon durch die nicht fühlbaren Mauern des Gebäudes bewegte. Seine Gedanken schufen einen Ausgang, obwohl ein Außenseiter nicht einmal hätte eintreten können. Dann stand er draußen auf der grauen, gestaltlosen Ebene der Überwelt. In der Ferne erkannte er die Spitze des Arilinn-Turms oder vielmehr das Duplikat jenes Turms in der Überwelt.
Vielleicht schon seit tausend Jahren hatten die Gedanken jedes Psi-Technikers, der sich in der Überwelt bewegte, Arilinn als eindeutige Landmarke geschaffen. Warum war der Turm so weit entfernt? Dann fiel Damon ein, warum das so war: Es war Callistas Vorstellung, die ebenso wie seine am Werk war, und ihr schien Arilinn in der Tat sehr weit entfernt zu sein. Aber hier in der Überwelt hatte der Raum keine Realität, und in Gedankenschnelle stand er vor den Toren von Arilinn.
Er war von hier vertrieben worden. Konnte er jetzt hineingelangen, wenn er es versuchte? Mit diesem Gedanken war er drinnen. Er stand auf den Stufen des äußeren Hofes, vor ihm Leonie in ihrer karminroten Robe, verschleiert.
»Ich weiß, warum du gekommen bist, Damon. Ich habe überall nach den Aufzeichnungen, die du haben möchtest, gesucht, und in diesen Tagen habe ich mehr über die Geschichte von Arilinn gelernt als je zuvor. Mir war bekannt gewesen, dass in der Frühzeit der Türme viele Bewahrer Emmasca waren, von Chieri-Blut, weder Mann noch Frau. Dagegen wusste ich nicht, dass später, als solche Geburten seltener wurden, weil sich die Chieri nicht mehr so oft mit den Menschen paarten, einige der ersten Bewahrerinnen zu Neutren gemacht wurden, um jenen Emmasca ähnlich zu sein. Wusstest du, Damon, dass manchmal nicht nur zu Neutren gemachte Frauen, sondern auch kastrierte Männer als Bewahrer eingesetzt wurden? Welche Barbarei!‹
»Und nicht notwendig«, meinte Damon. »Jeder halbwegs fähige Psi-Techniker kann den größten Teil der Arbeit einer Bewahrerin tun und braucht dafür keinen höheren Preis zu zahlen als ein paar Tage der Impotenz.«
Leonie lächelte schwach. »Es gibt viele Männer, die selbst diesen Preis für zu hoch halten, Damon.«
Damon nickte. Er dachte an seinen Bruder Lorenz und die geringschätzige Art, mit der er Damon »Halb Mönch, halb Eunuche«
Weitere Kostenlose Bücher