Darkyn: Ruf der Schatten (German Edition)
ruhig an. »Cyprien hat mir gesagt, dass ihr noch einen Schlafsaal und Krankenakten in St. Benedikt gefunden habt. Ich hatte recht .«
»Ich wollte gerade mit dir darüber reden .« Seine Gesichtsfarbe gefiel ihr nicht. »Würdest du dich zurück ins Bett legen, bevor du wieder ohnmächtig wirst ?«
»Mir geht’s gut .« Er setzte sich aufs Bett. »Was haben die mit uns gemacht ?«
»Sie haben uns ganz normal untersucht « , erzählte sie ihm. »Alles das, was man mit Kindern macht, bevor man sie in eine neue Umgebung schickt, wie zum Beispiel in Pflegefamilien oder zu Adoptiveltern. Größe, Gewicht, Blutdruck, so was .«
»Da muss mehr sein .« Er entriss ihr die Krankenakten und fing an, sie durchzublättern.
Alex lehnte sich gegen einen Tisch und beschloss, dass es Zeit war, ihm ihre Scheintheorie zu verkaufen. »Als Ärztin glaube ich Folgendes: Wir wurden vermutlich als Teil einer Art klinischen Kontrollgruppe benutzt. Fünfzig bis sechzig Kinder wären ungefähr die richtige Anzahl dafür .«
Er sprang direkt darauf an. »Eine Gruppe für was ?«
»Verschiedene Testverfahren « , sagte sie. »Kontrollgruppen dieser Größe waren in den 1970er- und 1980er-Jahren sehr beliebt. Wissenschaftler begannen damit, fünfzig bis hundert zufällig ausgewählte Individuen zu untersuchen, die gesund waren und keinerlei Erkrankungen hatten. Sie stellten das Ergebnis jedes Tests grafisch dar und kartierten sie nach der Nummer der Testperson und den Testwerten. So bestimmt man die Kurve der normalen Häufigkeitsverteilung. Die größte Anzahl identischer Testwerte bildet dann die Norm, an der alle abweichenden Ergebnisse gemessen werden. Das tat den Kindern nicht weh. Sie wurden einfach zufällig getestet .«
»Das kann nicht stimmen « , sagte John, als Michael hereinkam und sich zu ihnen gesellte. »Warum sollten sie nur Kinder aus einem Ort testen ?«
»Sie wussten es nicht besser « , erwiderte Alex. »Es war vermutlich einfacher für sie, Kinder aus einem Gebiet zu nehmen. Ihre Testergebnisse wurden vermutlich von bestimmten Faktoren verfälscht, die die Wissenschaftler außer Acht ließen, wie zum Beispiel Umweltschadstoffe und die geografische Lage .« Sie deutete aus dem Fenster. »Leute, die in den Bergen leben, haben zum Beispiel einen höheren Hämoglobinspiegel als die in der Stadt auf Meereshöhe. Der Körper produziert in Höhenlagen mehr rote Blutzellen, um den Sauerstoffmangel in der Atmosphäre auszugleichen. So was eben .«
»Warum haben sie nur Waisenkinder benutzt ?« , fragte John.
»Erstens brauchten die Ärzte dann nicht die Zustimmung der Eltern « , sagte sie zu ihm. »Sie könnten auch noch aus einem anderen Grund Kinder aus einer bestimmten Region genommen haben, weil sie vielleicht den Anteil der markanten Phänotypen unter den Armen bestimmen wollten .« Sie sah den Blick, den John ihr zuwarf. »Markante Phänotypen sind individuelle Merkmale, die Wissenschaftler benutzen, um neu auftretende Krankheiten oder Mutationen nachzuweisen. Die Merkmale manifestieren sich körperlich, entweder im Erscheinungsbild des Patienten oder in den Laborwerten. Die Bluterkrankheit, Muskelschwund und Krebs sind alles markante Phänotypen. Sie wurden statistisch evaluiert, und dafür braucht man eine Kontrollgruppe .« Und wenn er ihr die Lüge nicht bald abkaufte, würden ihr die ausgedachten Theorien ausgehen.
John verschränkte die Arme vor der Brust. »Das beweist, dass sie nach etwas Speziellem gesucht haben. Etwas Abnormem .«
Alexandra seufzte. Das Problem mit ihrem Bruder war, dass er nicht dumm war. »Es beweist, dass sie uns wahrscheinlich nur getestet und unsere Ergebnisse als Grundlage für wirklich kranke Kinder benutzt haben .«
»Warum haben sie dann keine normalen Kinder getestet? Warum haben sie die Kinder eingesperrt und direkt neben dem Labor schlafen lassen ?«
»Wir wissen nicht mal mit Sicherheit, dass sie uns eingesperrt haben, John « , erinnerte sie ihn. »Verdammt, Charlie und ich haben vor ein paar Jahren eine Studie über Mütter mit Phenylketonurie gemacht, die geistig zurückgebliebene heterozygote Kinder bekommen hatten. Ich konnte beweisen, dass aufgrund der Tatsache, dass zu viele Cousins sich gegenseitig heirateten, elf Prozent der Bevölkerung einer Kleinstadt in Idaho den Defekt in sich trugen. Für die Studie lebten zweihundert Leute, darunter ungefähr fünfzig Kinder, zwei Wochen in einer Klinik, während wir ihre DNA analysierten und ihre familiären
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