Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
paranoid, wenn man mich entführt hätte.« Das Telefon auf dem Schreibtisch läutete. »Entschuldigen Sie mich, das ist bestimmt Dr. Haggerty.«
Grace hob den Hörer ab und meldete sich. »Hey, Boss, wo bist du?« Sie hörte zu. »Okay, abe r … « Sie hielt inne und hörte wieder zu, dann schrieb sie etwas auf einen Zettel. »Hab ich. Alles klar, kein Problem. Möchtest du mit deinem Bruder sprechen? Aber er steht direk t … « Sie seufzte und legte den Hörer auf. »Sie hatte es wieder eilig, tut mir leid.«
John blickte auf das Telefon, aber es war keine Rufnummer im Display zu sehen gewesen. »Hat sie Ihnen gesagt, wo sie ist?«
»Nein, Vater. Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass sie vom Auto aus angerufen hat. Ich konnte im Hintergrund Gehupe hören.«
Nach Johns Rückkehr nach Brasilien war Alexandra zweimal aus dem Internat weggelaufen. Einmal war sie fast bis zum Haus ihrer Adoptiveltern gekommen, bevor die Polizei sie wieder einfing. In ihren tränenreichen, wütenden Briefen hatte sie ihn für ihr Verhalten verantwortlich gemacht und gesagt, dass sie es nicht getan hätte, wenn er bei ihr geblieben wäre. Aber viel war passiert, seit Alexandra fünfzehn war, und sie hatte ihre Gefühle für ihn an jenem Tag im Krankenhaus sehr deutlich gemacht.
Warum läuft sie diesmal weg? »Was genau hat sie zu Ihnen gesagt?«, fragte er Grace.
»Nicht viel. Sie fragte mich nach den Patientenakten und ob wir noch Spritzen für Blutabnahmen haben. Oh, und sie bat mich, heute Abend die Alarmanlage in der Praxis nicht einzuschalten.« Sie verdrehte ihre schmalen dunklen Augen. »Sie kann sich nie an den Deaktivierungs-Code erinnern.«
Er bedankte sich bei der Praxishelferin und verließ das Gebäude. Anstatt zum Wagen, den er sich von Mrs Murphy ausgeliehen hatte, zu gehen, überquerte er die Straße und setzte sich in einen kleinen Diner, wo er um einen Platz bat, von dem aus er das Gebäude beobachten konnte. Dann bestellte er einen Kaffee.
»Bitte schön, Vater.« Die Kellnerin, eine stämmige ältere Frau mit silbernem, zuckerwattefeinem Haar, das ihren Kopf wie ein Helm umgab, brachte die Kanne an den Tisch, um ihn in einen von der Geschirrspülmaschine angeschlagenen Becher zu füllen. Die Bewegung ließ die Fettrolle an ihrem Oberarm wackeln.
»Milch, Zucker?« Als er den Kopf schüttelte, sah sie ihn an, als habe er zwei Köpfe. »Etwas zu essen? Wenn Sie was im Magen haben, fühlen Sie sich besser.« Sie beugte sich vor und flüsterte: »Nur nicht den Fleischeintopf, okay?«
Er blickte ihr in die Augen und sah die von verschmierter Wimperntusche und dick aufgetragenem Eyeliner umrahmte Freundlichkeit. »So schlimm?«
»Ich glaube, er hat schon ein paar Leute umgebracht.« Sie zwinkerte ihm zu und ging, um die Becher von ein paar Truckern aufzufüllen, die über den Resten des Frühstücks saßen, das sie jetzt zum Abendessen hatten.
Der Himmel wurde dunkel, und John trank seine fünfte Tasse Kaffee und aß sein zweites Stück Bananencremekuchen, als Alexandras Jeep auf den Parkplatz des Ärztehauses einbog. Er wartete, bis er sie aussteigen und das Gebäude betreten sah, bevor er seine Rechnung bezahlte und die Straße überquerte.
Zu seinem Ärger waren die Eingangstüren abgeschlossen. Er drückte die Klingel.
»Ja?«, fragte die leise, angestrengte Stimme seiner Schwester.
»Alexandra, ich bin’s, John. Lass mich rein.«
Schweigen.
»Ich werde nicht gehen, bevor ich mit dir gesprochen habe.«
Ein elektronisches Summen öffnete die Tür.
John nahm den Fahrstuhl in den vierten Stock, wo Alexandras Praxis lag. Sie öffnete die Tür, bevor er die Hand auf den Türknauf legen konnte.
Er hatte sie noch nie so unordentlich gesehe n – mit zerknitterten Sachen und wirrem Haar, das ihr um das Gesicht fie l – , und in ihren Augen lag ein beinahe wilder Ausdruck.
»Was?«, fuhr sie ihn an.
»Ich spreche dir seit zwei Tagen Nachrichten auf den Anrufbeantworter«, erinnerte er sie. »Darf ich reinkommen?«
»Sicher.« Sie machte ihm Platz, sah sich jedoch hinter ihm auf dem Flur um.
»Erwartest du jemanden?«
»Nein.« Sie schloss die Tür hinter ihm ab und führte ihn in ihr Büro. »Möchtest du etwas trinken? Ich glaube, ich habe noch Saft oder irgendwas im Kühlschrank.«
»Ich habe gerade fünf Tassen Kaffee im Diner auf der anderen Straßenseite getrunken.«
»Du bist mutig.« Sie ging um ihren Schreibtisch herum, setzte sich und blätterte in einigen Krankenakten.
Er wartete, bis sie
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