Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
Cypriens Gesicht. Es war symmetrisch, beinahe makellos und attraktiver, als sie es in Erinnerung hatte. Mit Abstand ihre beste Arbeit, karrieretechnisch gesehen. Wirklich schade, dass die medizinischen Fachmagazine keinen Artikel über die Schwierigkeiten bei der Operation eines Blutsaugers veröffentlichen würden.
Er bemerkte ihre prüfenden Blicke. »Was ist?«
»Irgendwelche Komplikationen seit der Operation?«, fragte sie beiläufig. »Schmerzen, Steifheit, Narben?«
»Nein.« Er blinzelte. »Ich bin überrascht, dass du fragst.«
»Du bist der letzte Patient, den ich jemals haben werde.« Sie hatte das Operieren vermiss t – vermisste es wie einen amputierten Ar m – , aber sie würde das Risiko nicht eingehen, sich mit einem Instrument zu verletzen und jemanden mit dem Dreck zu infizieren, den er in ihrem Blut abgeladen hatte. »Ich wüsste einfach gerne, dass ich in diesem Fall erfolgreich war.«
»Finde es selbst heraus.« Er nahm ihre Hände und legte sie an sein Gesicht.
Alex konnte nicht widerstehen, das Gewebe nach den darunterliegenden Knochen abzutasten. »Schön. Solide. Irgendwelche Probleme?«
»Zuerst waren die Knochen ein bisschen taub.« Sein Atem wärmte ihre Handflächen, während er sprach. »Aber das hat aufgehört.«
»Gut.« Sie berührte eine Stelle an der Seite seines Gesichts. »Dieses Gelenk hier, das war eine Katastrophe. Ich dachte, ich würde es niemal s … «
Sie berührte ihn. Plauderte mit ihm. War stolz auf ihre Arbeit, auf die Perfektion des Ergebnisses. Wo Michael Cyprien doch nur deshalb ein neues Gesicht hatte, weil er sie entführt und gezwungen hatte, es ihm zu machen.
Denk dran, wie er sich dafür bedankt hat, Alex.
Sie ließ die Hände sinken und trat zurück, plötzlich müder, als sie sich seit dem Beginn dieses Albtraums gefühlt hatte.
»Alexandra, ich wollte dich nicht verfluche n … infizieren. Du musst mir glauben.«
»Ja.« Er hatte getan, was er tun musste, und was er ihr angetan hatte, war vermutlich, wie er sagte, ein Unfall gewesen. Was es nur noch armseliger machte. »Hör zu, kannst du nicht einfach verschwinden und mich in Ruhe lassen? Ich will das nicht tun.«
Cyprien nahm wieder ihre Hand, aber diesmal hielt er sie einfach fest. »Ich werde dich nicht zwingen, mit nach New Orleans zu kommen, aber ich kann dir etwas als Gegenleistung anbieten. Wenn du mir hilfst, dann werden meine Leute die Männer aufspüren, die deine Verbrennungspatientin in Chicago angegriffen haben.«
Alex ließ sich durch Sophias Anwalt über Luisa Lopez auf dem Laufenden halten. Er hatte ihr zuletzt berichtet, dass sich ihr Zustand verbesserte und dass ihr neuer Arzt ihr Hornhaut implantieren wollte. Die Polizei wollte ihr Fotos von Verdächtigen zeigen, sobald sie wieder sehen konnte, aber sie waren unsicher, ob Luisa in ihrem Zustand jemanden identifizieren konnte oder für eine Aussage vor Gericht verständlich genug sprach.
»Ich kann sie selbst finden.« Schuldgefühle überfielen Ale x – sie hatte es nicht besonders hartnäckig versuch t – , aber sie konnte es zu ihrem nächsten Hauptprojekt machen. Und wie hatte Cyprien von Luisa erfahren? Warum machte er sich die Mühe?
»Deine Mittel sind begrenzt, meine nicht.« Cyprien zog sie näher an sich. »Komm mit nach La Fontaine, und ich werde dir diese Männer ausliefern.«
Er hatte sie. Er hatte sie, und er wusste es auch, der Scheißkerl. Alex machte sich von ihm los. »Was willst du diesmal?«
»Komm mit mir.« Er deutete auf die Straße. »Ich werde dir alles erklären.«
Eine halbe Welt entfernt kam der Novize John Keller in den Eingeweiden von La Lucemaria aus dem Cubiculum , in das er acht Stunden lang ohne Nahrung oder Licht eingesperrt gewesen war. Seine Uhr und seine persönlichen Sachen waren am ersten Tag seiner Ausbildung konfisziert worden, und er konnte nicht mehr sagen, ob es Morgen, Mittag oder Mitternacht war.
Auf ihn wartete sein Lehrmeister, Bruder Ettore Orsini.
»Ah, Bruder Keller.« Orsini gab ihm einen Moment, um seine Augen an das Licht der Öllampe zu gewöhnen, die den Korridor erleuchtete. »Hattest du eine geruhsame Nacht?«
John blickte auf das Cubiculum zurück, das eines der kleineren Familiengräber von La Lucemaria war. Die zwanzig Loculi-Nischen an den Wänden waren alle mit Leichen auf den Knochen der anderen Leichen gefüllt worden, deshalb hatte er auf einem Haufen verrottetem Leinenzeug in der Mitte des Raums übernachtet. Es hatte sich angefühlt, als habe er
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