Darkyn: Versuchung des Zwielichts (German Edition)
sich auf einer kalten Steinbriefmarke zusammengerollt, aber es war nicht der schlimmste Ort, an dem er seit Beginn seiner Ausbildung geschlafen hatte. Bei einer denkwürdigen Gelegenheit war er gezwungen worden, in einem der Steinsarkophage auf einem staubigen Skelett zu schlafen. Mit geschlossenem Deckel.
Ein Teil seiner Ausbildung war das Schweigegebot; John war es nicht erlaubt zu sprechen, außer, um seine täglichen Vaterunser aufzusagen, und die murmelte er flüsternd. Um eine direkte Frage zu beantworten, nickte er entweder oder schüttelte den Kopf.
John nickte.
Orsinis Lippen verzogen sich zu einer merkwürdigen Grimasse, die ein spöttischer Ausdruck oder ein Lächeln sein konnte; John war sich da nie sicher. »Willst du mit der Ausbildung aufhören?« Er stellte John vor jeder Sitzung diese Frage.
John konnte sich nicht mehr normal bewegen. Gezerrte Muskeln, Fleischwunden und müde Knochen machten den Schmerz zu seinem ständigen Begleiter. Jede Menge Schorf bedeckte seine Fußsohlen; es war ihm nicht erlaubt, Schuhe zu tragen, und einige der Steinfußböden hatten unerwartet scharfe Kanten.
Manchmal vergaß er den Schmerz beim Beten. Orsini ließ ihn jeden Tag einhundertachtundvierzig Vaterunser beten, und John sagte nach jedem die Zahl, um sich zu merken, wie viele es schon waren.
»Vierzehn Vaterunser jede Stunde«, wies ihn sein Lehrmeister an, »und achtzehn zu Ehren Gottes bei der Abendandacht. Dann dreißig, wenn du morgens aufwachst, für die Lebenden, und dreißig, bevor du schlafen gehst, für die Toten.«
Hunger quälte John genauso beständig wie der Schmerz. Seine Essensration war mit der Zeit langsam reduziert worden; er lebte jetzt von einer einzigen Scheibe Brot und einer kleinen Tasse Wasser am Tag. Er wusste, dass der vor ihm liegende Tag ihn an den Rand seiner Leidensfähigkeit bringen würde, und er wollte nichts mehr, als dass es endlich aufhörte.
Orsini, der immer nach Zeichen von Schwäche suchte, trat näher. Seine Stimme nahm einen weichen, verständnisvollen Tonfall an. »Du bist weit gekommen, Bruder Keller, aber du bist müde und verletzt. Niemand wird dich züchtigen, wenn du aufgibst und den Weg der Helot einschlägst.« Er wartete einen Moment. »Deine Antwort, Bruder?«
John schüttelte langsam den Kopf.
Kardinal Stoss hatte John gewarnt, dass er, falls er während seiner Ausbildung irgendwann nicht mehr wollte oder nicht gehorchte, den Rest seines Lebens als »Helot« innerhalb des Ordens verbringen würde. Das waren die Mönche, die während des Trainings versagt hatten und jetzt den anderen Brüdern dienten, indem sie kochten, Wäsche wuschen und für sie putzten.
» Bene .« Der Mönch wandte sich ab und ging, und John musste steif hinter ihm herhumpeln.
Hatte er sich heute Morgen eine Mahlzeit verdient? John wusste nie, wann er etwas zu essen bekam. Am Anfang hatte er den dünnen Porridge und das zerkochte Gemüse, das man ihm anbot, ekelig gefunden, aber jetzt träumte er davon, wenn er auf dem rauen Schwarzbrot kaute, das seine einzige Nahrung war. Er hatte den Hunger als Kind überlebt, weil er geklaut hatte; hier gab es nichts, was er hätte nehmen können. Die einzige andere Nahrung, die er bekam, waren ein Schluck Wein und die Hostienwaffel während der Messe, an der er einmal in der Woche teilnahm. Jede Erwähnung von und jeder Gedanke an Essen ließen ihm das Wasser im Mund zusammenlaufen, und während der dritten Messe, an der er teilnahm, hatte er unbewusst die Hostie gekaut.
Man kaut nicht auf dem Leib Christi, es sei denn, man hungert.
Orsini führte ihn durch die Korridore zu einem Raum, den John noch nie zuvor gesehen hatte. Den Gestank des Todes nahm er nicht mehr wahr; der Anblick von Leichen erschien ihm nicht mehr in seinen Albträumen, wenn er schlief. Dieser Raum jedoch war fest verbarrikadiert, mit einer schweren Eisentür mit Riegeln oben, unten und in der Mitte.
In dem Raum, das wusste John, würden ein paar muskulöse Italiener auf ihn warten, um mit ihm zu kämpfen, oder ein Mönch mit einer Peitsche. Es war ihm gestattet, sich zu verteidigen, und das tat er, aber während der vergangenen Wochen hatte er mehr Kämpfe verloren als gewonnen. Wenn es kein weiterer Kampf war, dann würde man ihn vor irgendeine unlösbare Aufgabe stellen. John hatte die Ratten, die zu Tausenden in den Katakomben lebten, gejagt und getötet, Steinblöcke von einer Seite eines Grabes zur anderen geschoben, die Knochen eines Märtyrers mit Weihwasser
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