Darling Jim
offenbar nicht mit angetreten. Das Haus roch nach Staub und Reue. Hier lebte niemand, alles war nur provisorisch eingerichtet. Der Plastikjesus hing über dem Türrahmen, und die gestreifte Tapete sah aus, als ziere sie seit fünfzig Jahren die Wände eines Altersheims. Im Zimmer standen sonst nur noch ein paar durchgesessene Stühle.
»Welche Sachen?«, fragte Fiona und versuchte, nicht zu klingen, als würde sie Tante Moira am liebsten den Hals umdrehen.
»Das Feuerzeug haben wir bekommen, aber ... «
»Erinnert ihr euch gar nicht mehr?«, spottete unsere gesund aussehende Tante, ließ sich aber erweichen, schloss eine Kommodenschublade auf und kam mit drei Plastikbeuteln zurück, von denen man hätte denken können, sie seien voller Dope. Dabei fiel mir zum ersten Mal ihre Halskette auf. Sie sah aus, als bestünde sie aus Eisen oder mattem Silber. Und anstelle von Schmuck hingen Schlüssel daran. Sie wedelte mit einem Beutel voller Dreck vor unseren Gesichtern herum und sagte: »Die Polizei hat nichts gefunden. Das hier lag in einem hohlen Baumstumpf, genau wie im Märchen. Aber ich habe gründlich gesucht. Es dauerte eine Weile, bis ich fündig wurde. Ich habe gesucht, seit Brianna aus dem Supermarkt mir gesagt hat, mein Jim sei am Tag zuvor dort gewesen, habe eine Flasche Chablis gekauft und gesagt, er gehe zum Strand.« Sie starrte mich an, und ich hielt ihrem Blick stand, bis ich es nicht mehr ertragen konnte. »Das Problem an der Sache ist, dass mein J im keinen Chablis mochte. Das hätte euch doch auch stutzig gemacht, nicht wahr? Ich hatte so eine Ahnung, und als man mir dann sagte, er sei ... « Sie zögerte. Es kostete sie viel Überwindung, das Wort auszusprechen. »Tot ... Nun ja. Ich musste mich dünn machen, als Bronagh und ihre Bande mit den Hunden auftauchten. Aber ich kam zurück und fand ein paar wirkliche Schätze. Sogar noch, nachdem diese dummen Frauen einen Altar dort errichtet hatten, suchte ich weiter. Eine schöne Sammlung, findet ihr nicht auch?«
In dem Beutel lag die zerknüllte Zigarettenschachtel, die Jim weggeworfen hatte, und der zweite Beutel enthielt einen Knopf von Aoifes Kleid. Sie hatte noch mehr Zeug, aber ich verschwendete keine Aufmerksamkeit mehr darauf. Denn schon diese zwei Stücke würden uns todsicher wegen Mordes ins Gefängnis bringen, da war ich mir sicher. Tante Moira schloss ihre Beweise wieder weg und legte uns eine Liste vor.
»Und da ihr nun hier seid, macht euch bitte mit den Hausregeln vertraut«, sagte sie.
Ich kam mir wieder vor wie damals im Klosterinternat. Um sechs Aufstehen, Moiras Frühstück vorbereiten und Medikamente richten. Danach putzen bis Mittag, Mittagessen und Schmerztabletten für sie und erst danach Essen für uns. Nachmittags, bevor wir ihr das Abendessen zubereiteten, würden wir einkaufen gehen. Mit einer merkwürdigen Auflage.
»Nur jeweils eine von euch darf das Haus verlassen«, sagte Tante Moira und strahlte ein bisschen weniger als vorher.
»Warum?«, fragte ich.
»Weil ich es sage.« Sie deutete auf einen langen, beigefarbenen Mantel, der neben der Tür an einem Haken hing. »Dabei muss sie diesen Mantel tragen und ihr Gesicht hinter diesem Schal verbergen. Ihr dürft nur in dem Laden gleich an der Ecke einkaufen und nur das mitbringen, was auf der Einkaufsliste steht. Ist das klar?«
Ich sah ihr in die Augen und erinnerte mich, wie Fiona ihren Gesichtsausdruck bei ihrer ersten Begegnung mit Jim genannt hatte. »Bis zum Wahnsinn vernarrt.« Wir sind so tot wie Hasen im Fuchsbau, wenn wir nicht bald hier abhauen, dachte ich, betrachtete Moiras geisterhaftes Lächeln und schmiedete bereits Pläne für unsere Flucht.
Ein paar Wochen lang passierte gar nichts. Fiona kaufte ein, ich putzte, und Aoife kochte, als wären wir einer Phantasie des alten Dev über das angemessene Verhalten junger Irinnen entsprungcn.
Und Tante Moira?
Nun, ich hatte sie noch nie so glücklich erlebt. Sie wies uns mit großer Freude auf unsere Fehler hin, wenn ich zum Beispiel beim Putzen der Toilette eine Stelle übersehen oder Aoife die Suppe versalzen hatte. Aber ich sagte mir immer wieder, es könne nur noch ein paar Wochen dauern. Bitte halte mich nicht für vollkommen dämlich oder naiv. Wenn du das innere Leuchten dieser Frau gesehen hättest, wärest du auch auf die Idee gekommen, dies sei nur das letzte Aufflackern eines todkranken Körpers, kurz bevor sich der letzte Vorhang senkt.
Gäste kamen nie ins Haus. Der einzige andere Mensch, den
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