Darling Jim
Antwort, ein Telegramm vom Richter an den Henker:
T. .. Ö... T ... E. .. T. .. S ... I... E. .. Z ...U ... E ... R ... S ... T. ..
»Was soll dieser Lärm?«, schrie Tante Moira von unten, und ich hörte bereits ihre Absätze auf der Treppe. »Was macht ihr da?«
»Das ist das Wasser in den Rohren, Tante Moira«, sagte Fiona. »Sie knarren.«
»Ihr heckt irgendetwas aus«, zischte meine Tante und schlurfte wieder nach unten. Dann zog sie Schubladen auf und zu, als suche sie etwas in ihren Geheimverstecken. »Aber das wird euch nichts nützen. Jim ist mein Zeuge, ich werde euch alle überleben.«
Das war neu und hätte dem guten Jim mit Sicherheit ein Lächeln entlockt. In ihrem wahnsinnigen Kopf stand inzwischen sogar Gott weiter unten auf der Leiter als West Corks berühmtester Sexmörder.
Ich wartete ein paar Stunden, bis von unten kein Geschrei mehr zu hören war. Dann sprachen Aoife und ich über das Rohr über unsere Flucht, über das Töten und die Tagebücher, die wir alle seit einiger Zeit schrieben. Wir einigten uns darauf, dass wir am folgenden Mittwoch ausbrechen würden, komme, was wolle. Das ist übrigens heute, falls du dich das gefragt hast. Aber hauptsächlich sprachen Aoife und ich über die bedingungslose Liebe, die wir füreinander empfanden. Und sie sagte mir endlich, warum sie so lange fort gewesen war. Ich sagte, ich verstünde sie. Wie hätte ich es nicht verstehen sollen?
So.
Gerade geht die Sonne auf, und Fiona feilt zum letzten Mal ihren verdammten Schraubenzieher spitz. Sie hat auch irgendwo eine alte Schaufel aufgetrieben. Tante Moira bereitet irgendetwas für uns vor. Das weiß ich, weil sie unten mit sich selbst redet und mir das gar nicht gefällt. Wenn Verrückte mit sich selbst streiten, ist es Zeit, die Party zu beenden, selbst wenn man eigentlich keine Kraft mehr dazu hat. Fiona könnte mir sicherlich etwas über die 300 Spartaner erzählen, die sich der persischen Armee stellten, aber dafür bleibt jetzt keine Zeit mehr. Wir haben vereinbart, dass wir Tante Moira sofort angreifen, wenn sie mit dem Essen ins Zimmer kommt. Wer es lebend rausschafft, wird die Tagebücher der beiden anderen zur Post bringen. Was? Hast du geglaubt, wir hätten Hoffnung darauf, alle zu überleben? Hast du mir überhaupt zugehört? Ich kann nicht mal mehr aufstehen, verdammt noch mal, und laufen schon gar nicht.
Aber schreiben kann ich noch. Und ich werde dieses Tagebuch nicht mit einer dummen Bitte abschließen. Du musst meinem Priester nicht sagen, was für ein guter Mensch ich war. Wir kennen uns nicht, und du hast bestimmt was Besseres vor. Ich wünsche mir nur, dass man nicht zu hart über uns urteilt. Oh, und bitte versuch, Evi zu erreichen und ihr zu sagen, was passiert ist. Ich habe sie immer noch nicht vergessen. Ich liebe diese blöde Kuh nun mal, auch wenn sie jetzt mit einer anderen zusammen ist. Das ist die Wahrheit. Ihr Nachname ist Wassilewa, und die Familie lebt in Sotschi. Okay? So viele kann es dort ja nicht geben.
Hier kommt sie, meine liebe Tante. Sie schleppt ihren elenden Körper die Stufen herauf. Jetzt? Wirklich schon jetzt?
Es muss sein, denn Aoife klopft das Angriffsignal, als wäre ich taub oder so.
J. .. E ... T. .. Z ... T. .. !
Ich höre immer auf meine Zwillingsschwester, also muss ich jetzt los. Pass auf dich auf, wer du auch sein magst. Und tu dir selbst einen Gefallen:
Liebe nur die Menschen, die dich verdienen. Vertrau mir, ich weiß, wovon ich spreche.
TEIL VIER
..
DER GELAHMTE PRINZ
XXII.
Niall klappte das Buch nur widerwillig zu. Die Stimmen, die daraus sprachen, erschienen ihm so lebendig, als könne er sie hier, in der Welt der Lebenden, immer noch hören. Er hielt den Atem an und lauschte. Hatte er da gerade ein Murmeln gehört? Unmöglich. Es war das Heulen des Windes. Alles nur Einbildung, das war ihm schon klar, aber er war mit seinen Gedanken eben noch halb in den letzten Momenten von Roisins Leben.
Moment mal.
Er hörte wieder ein leises Murmeln, diesmal ganz in der Nähe.
Es drang durch ein Loch im Dach und driftete wie Feenstaub zu ihm herunter.
»Das bringt doch nichts«, sagte eine weibliche Stimme frustriert.
Zuerst dachte Niall, seine Phantasie spiele ihm einen Streich. Er hörte schon seit Tagen Stimmen in seinem Kopf und hatte begonnen, sie den Frauen zuzuschreiben, die wie Ratten in dem letzten Zimmer gefangen waren, das sie lebend nicht mehr verlassen sollten. Er hatte ihre Eigenarten kennengelernt, für ihn waren sie nicht
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