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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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ich in dieser ganzen Zeit gesehen habe, ist der kleine Briefträger, der immer draußen herumlungerte, als warte er auf eine Einladung zum Tee. Ich weiß jetzt, dass es ein Fehler war, ihn nicht auf uns aufmerksam zu machen, aber wie hätte ich ahnen können, was uns bevorstand? Er hielt sich auch nie lange draußen auf. Wahrscheinlich hatte Tante Moira ihn weggejagt.
    Nachts ging Aoife in den Keller und schlief in dem Gästebett, das Tante Moira dort aufgestellt hatte. Fiona und ich teilten uns ein Zimmer im Obergeschoss. Ich fand einen Stapel Notizbücher, die jemand dort vergessen hatte. Sie waren verstaubt und auf der ersten Seite mit der Jahreszahl »1941« gestempelt. Du hältst eines in den Händen, aber das hast du dir sicher bereits gedacht. Ich machte mir einen Countdown-Kalender für unsere Abreise, und es war mir egal, ob meine liebe Tante dann unter der Erde lag oder nicht. Fiona klagte ständig über Kopfschmerzen, aber ich achtete zuerst nicht darauf, weil sie sich heimlich Zigaretten aus der Küchenschublade klaute und ich wusste, dass sie Nikotin nicht verträgt.
    Aber dennoch wurde mir eines Tages bewusst, dass nicht alles so war, wie es schien.
    Eines Morgens vor nicht allzu langer Zeit wachte ich davon auf, dass sich ein Schlüssel in einem Schlüsselloch drehte. »Hallo?«, fragte ich, setzte mich auf und rieb mir die Augen.
    Ich hatte von Hexen geträumt.
    »Schlaf weiter«, hörte ich Tante Moiras Stimme von der anderen Seite der Tür. Aber ich wusste, was ich gehört hatte. Ich drehte am Türknauf, aber die Tür ließ sich nicht öffnen. Sie tat nicht länger so, als wären wir aus freien Stücken hier. Wir waren Gefangene, und als ich hörte, wie immer mehr Schlösser im ganzen Haus einrasteten, wusste ich, dass ich ihr am Tag unserer Ankunft den Hals hätte umdrehen sollen. Wenn meine Tante Krebs hatte, dann war ich Madame Curie, verdammt noch mal. Hier ging es um Rache, sonst nichts. Und wir würden dieses Haus nicht lebendig verlassen.
    Von diesem Tag an durften wir auch unsere Zimmer nicht mehr verlassen. Nicht einmal, als ich Blut in meinem Urin entdeckte. Ich hatte keine Ahnung, warum ich mich so elend fühlte.
    »Ich kann euch nicht trauen«, sagte unsere Wärterin, die uns, während wir schliefen, Hand- und Fußfesseln angelegt hatte wie in einem schlechten Film. »Mörder gehören hinter Schloss und Riegel.« Sie schloss die Tür nur dreimal wöchentlich auf, um uns einen Fraß zu bringen, den sie Essen nannte. Wir aßen das Zeug natürlich. Was hätten wir sonst tun sollen? Aus unseren Betten springen und uns auf sie stürzen? Glaub mir, das habe ich versucht. Zweimal. Und sie schlug mich beide Male so brutal zusammen, dass meine Vorderzähne seitdem nicht mehr fest im Kiefer sitzen.
    Ich begann abzunehmen. Natürlich. Aber nicht wie bei einer Diät, bei der irgendwann der Jeanshintern locker sitzt. Ich konnte mein Brustbein durch die Haut schimmern sehen.
    »Irgendwas ist im Essen«, sagte Fiona, die überall offene, eiternde Wunden hatte.
    Ich konnte nur an Aoife denken.
    Seit Wochen hatte ich sie nicht mehr gesehen, und ich hatte Angst, dass meine Tante sie bereits getötet hatte. Moira hatte uns gewarnt. Beim kleinsten Zeichen, dass wir der Außenwelt gaben, würde meine Schwester die Konsequenzen tragen. Ich zweifelte nicht daran, dass diese Drohung ernst gemeint war.
    Vor ein paar Abenden hörte ich auf einmal ein schwaches, metallisches Klimpern. Irgendjemand klopfte an das Metallrohr, das durch unser Badezimmer bis in den Keller lief. Zuerst konnte ich keine Regelmäßigkeit erkennen, weil auch mein Gehör gelitten hatte, aber dann begriff ich. Es waren Morsezeichen, und ich hatte bereits einen halben Satz verpasst .
    ... I ... N ... O ... R ... D ... N ... U ... N ... G ... ?
    Ob ich in Ordnung war? Mir stiegen die Tränen in die Augen, und ich begann zu zittern. Gott segne Aoife dafür, dass sie sich als Kind überzeugen ließ, von mir das Morsealphabet zu lernen. »Irgendwann wird das nützlich sein«, hatte ich behauptet und sie dabei sehr ernst angesehen. »Aber warum?«, fragte sie dann immer. »Weil jederzeit der ganze Strom ausfallen kann«, antwortete ich und fand das vollkommen logisch.
    Ich weckte Fiona und holte den Schraubenzieher, den sie unter dem Bett gefunden hatte. Ich klopfte zurück:
    W …I ... E ... K ... 0 ... M. ..M.. .E ... N .. . W. .. I ... R ...
    H…I... E. .. R. . . R. .. A.. .U ... S ?
    Nach einer kleinen Pause hörten wir Aoifes entschlossene

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