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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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nur die kleine Gothic-Funkerin, ihre schweigsame Zwillingsschwester und ihre mütterliche große Schwester, die den ersten Schlag mit der Schaufel geführt hatte. Das waren nur Miniaturen, Skizzen, oberflächliche Klischees. Nein. Niall wusste, dass er sich vielleicht nur etwas vormachte, aber die Persönlichkeiten der drei Schwestern waren für ihn so lebendig wie das Bild von Jim als Wolf, der in einen dichten Urwald rannte.

    Mit Ausnahme von Aoife vielleicht. Sie entzog sich seinem Verständnis noch, denn sie war schon immer schneller gerannt als die beiden anderen.
    Deshalb antwortete er beinahe, als er dieselbe Frauenstimme noch einmal hörte, diesmal näher. Sie klang verängstigt und beschämt. Niall konnte sich nicht vorstellen, warum. Wenn der Lynchmob vom Friedhof in der Nähe war, hatte sie kaum etwas zu befürchten.
    »Der Regen hat seine Spuren bereits verwischt.« Das klang mütterlich und besorgt. Diese Frau war nicht mehr jung. Aber woher kam die Stimme? Niall kauerte sich in die Ecke, in der er sich niedergelassen hatte, und versuchte, noch weniger Platz einzunehmen als vorher. Er konnte sich nicht verstecken, ohne dabei etwas anzustoßen und sich zu verraten. In der blauen Dämmerung konnte er seine eigene Hand gerade noch erkennen, und er bemerkte ein helles Viereck zu seiner rechten. Wahrscheinlich ein Fenster. Auf dem Kies knirschten Stiefel, und Niall zuckte zusammen. Hier endet es also, dachte er und stellte sich vor, wie er an einen Galgen gehängt und von den Stadtbewohnern zu Tode geprügelt wurde. Gerade als er sich fragte, ob das Geheimnis der Walsh-Schwestern wirklich sein Leben wert war, hörte er noch eine weitere Stimme.
    »Jesus, Vivian, sei still«, zischte ein Mann und atmete schwer. »Du kannst uns ja gleich mit einem Trommelwirbel ankündigen!« Jetzt hörte Niall auch ein metallisches Geräusch. Ein Gewehr. Oder eine Kette. Irgendetwas, das wehtun würde.
    Niall erkannte die Männerstimme. Sie gehörte dem untersetzten Mann, den er vor der Sacred-Heart-Grundschule gesehen hatte. Damals hatte er ausgesehen, als wünsche er sich sehnlichst, Bronagh würde ihre Kaffeepause einlegen und wegschauen, während er den Mann umbrachte, der seiner Meinung nach seine einzige Tochter unsittlich berührt hatte. Oh Aoife, deine Flinte könnte ich jetzt gut gebrauchen, dachte Niall. Seine Augen gewöhnten sich allmählich an das Licht, das durch die Wolken brach wie der Heiligenschein auf einer Marienpostkarte.
    Plastikjesus, blende sie durch die Leuchtkraft deiner Glühbirne und deines gesegneten Gesichtes. Mr. Raichoudhury wird meine Grabrede halten und sagen, das hast du nun davon, du dummer Junge. Aber was hätte ich denn tun sollen, Sir, hätte Niall seinen pedantischen Exvorgesetzten am liebsten laut gefragt. Roisin, Aoife und Fiona einfach vergessen? Entschuldigung, Herr dienstältester Postbeamter, aber machen Sie Witze oder was?
    Die Frau wurde allmählich unruhig. Sie zog heftig den Atem ein, und es klang, als bliebe er ihr in der Kehle stecken und erreiche die Lungen nicht. »Wir sollten uns hier nicht aufhalten, Mr. Cremin, dieses ... «
    »Glaubst du, das weiß ich nicht?«, brüllte der Mann beinahe und vergaß, dass er gerade selbst um Ruhe gebeten hatte. »Aber die Spur endet da unten auf dem Feld. Wo sollte er sich denn sonst versteckt haben?«
    »Sie kennen die Regeln. Und die Strafe, wenn man sie übertritt. «
    »Sie verwandelt mich in eine Kröte. Ich kenne den ganzen Mist. Niemand hat sie gesehen, seit sie ... «
    »Die Regeln sind eindeutig.«
    »Und ich bin der Vater meiner Tochter. Okay? Er ist hier, ich weiß es genau. Jetzt hört schon auf mit dem Hokuspokus.«
    »Dann müssen Sie alleine reingehen, Donald Cremin.« Sie schnäuzte sich, und es kam Niall vor, als habe sie eine Entscheidung getroffen. »Jungs?« Er hörte weitere Füße durch das nasse Gras stapfen. Zehn, zwanzig Männer vielleicht? Kamen sie, oder gingen sie? Durch das zerbrochene Fenster sah er viele schwarze Regenmäntel, deren Besitzer sich bereits auf dem Feld verteilten und sich in die Richtung bewegten, aus der sie gekommen waren. Der rosafarbene Widerschein der Sonne auf ihren Gummistiefeln wäre wunderschön gewesen, wenn da nicht noch eine Kleinigkeit gewesen wäre.
    Mary Catherine Cremins Vater roch seine Beute immer noch.
    Und er hatte sich keinen Millimeter von der Stelle bewegt.
    Niall hielt den Atem an und überlegte, was Roisin in einer solchen Situation wohl getan hätte. Wahrscheinlich

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