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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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hätte sie dem Kerl ein Tischbein ins Gesicht geknallt oder laut den Zauberspruch aufgesagt, vor dem die Frau, die gerade gegangen war, solche Angst hatte. Er beschloss abzuwarten, bis der Mann ins Zimmer kam, und ihn dann von unten zu Fall zu bringen, wie beim Rugby. Darüber hinaus hatte er keine Ahnung.
    Die Stiefel vor der Tür scheuerten unentschlossen über den Boden. Und auf einmal wusste Niall auch, warum.
    Auch Mr. Cremin hatte Angst. Er wollte es vor den anderen nur nicht zugeben, schließlich wollte er ja der furchtlose Rächer sein. Von draußen klang ein kläglicher Seufzer ins Haus, denn er konnte das Risiko nicht eingehen, das Haus zu betreten. Als wäre der Boden vergiftet. Schließlich spuckte er auf die Türschwelle und machte sich davon.
    »Hexen«, murmelte er, der Wind trug den Rest seines Satzes über den Slieve Mishish Mountains davon. Dann war er fort.
    Niall atmete aus wie ein Mann am Galgen, dessen Seil in letzter Sekunde durchtrennt wird. Er lehnte sich an die Mauer und wartete, bis seine Beine nicht mehr zitterten, bevor er sich im Raum umsah. Als er seine Umgebung betrachtete und die Sonne gelbe Flecken auf die zerstörten Möbel malte, wusste er auf einmal genau, wo er war.
    In Aoifes verlassenem Cottage.
    Was Niall vorher auf dem Boden gesehen hatte, waren weder Rattenkötel noch Fledermauskot. Es waren Büschel von Baumwollfasern aus dem Inneren der Couch, die Jim ausgeweidet hatte, bevor er die eine Schwester vergewaltigte, die er am schlimmsten verletzen wollte. Das Loch in der Decke war noch größer geworden, ein richtiger Krater, und die Wände verrotteten allmählich. Auf dem Tisch standen Teetassen und Teller, als seien die Mädchen mitten in einer Mahlzeit aufgebrochen.
    In einer Whiskeyflasche befand sich noch ein Rest brauner FIüssigkeit.
    Niall knöpfte seine Jacke zu, denn es war plötzlich kalt geworden. Einer Sache sicher, die er sich schon fragte, seit er zu seiner unglückseligen Odyssee aufgebrochen war.
    Er wusste nun, dass Aoife der geheimnisvolle Gast im Keller ihrer Tante gewesen war und stumm mit ihren Schwestern gelitten hatte, bevor ihr die Flucht gelang. Weder Bronagh noch Finbar hatten einen Rettungsversuch unternommen und waren dabei gescheitert. Niall hatte die Autopsieberichte gelesen, die irgendwie zum Irish Star gelangt waren. Er musste seine Phantasie nicht besonders anstrengen, um erraten zu können, wie das letzte Gefecht im oberen Schlafzimmer verlaufen war. Fiona hatte mit der missgünstigen Trollfrau gekämpft und sie erfolgreich von Roisin abgehalten. Aber trotzdem waren alle drei gestorben, und Aoife hatte ihre Schwestern nicht retten können, Morsezeichen hin oder her.
    Er schloss die Augen und versuchte, sich vorzustellen, was schiefgelaufen war. Warum hatte Aoife es nicht rechtzeitig nach oben geschafft? War die Kellertür verschlossen gewesen? Niall wusste, dass sie schlussendlich in den zweiten Stock gelangt sein musste. Sie war zu spät gekommen, um Fiona und Roisin zu retten, aber sie war auf jeden Fall mit den Tagebüchern geflohen. »Hast du ihnen die Augen geschlossen, Aoife?«, fragte Niall die tropfnassen Vorhänge. Vielleicht hatte sie sogar die Beerdigung aus der Ferne beobachtet, es war unvorstellbar, dass es anders gewesen sein könnte. Sie hatte sie in ihre Sternendecke gehüllt.
    Zum ersten Mal kam es Niall vor, als habe er einen Blick in die Seele der Schwester werfen dürfen, die sich ihm bisher verschlossen hatte. Sie war so nah dran gewesen. Der Plan, mit dem sie ihre Tante für immer zum Schweigen bringen wollten, war eigentlich perfekt gewesen. Außerdem war er sicher, dass vor kurzem jemand im Cottage gewesen sein musste, denn die Wände und Türrahmen waren mit frischen Büscheln Krähenfedern und den uralten, vertrockneten Kadavern kleiner Waldtiere verziert. Voodoo-Quatsch, mit dem die Angst vor der »übrig gebliebenen Schwester« am Leben erhalten wurde. Sonst nichts. Aber warum gruselte er sich dann so? Ein Ding, das aussah wie der ausgedörrte Körper eines Fuchses, war am Schwanz aufgehängt und schwang hin und her wie eine erloschene Lampe in der unterirdischen Höhle eines Trolls. Hätte er Papier und Bleistift bei sich, könnte er jetzt eine verzauberte Waldlandschaft zeichnen, in der eine Frau einem Wolf für alle Zeiten einen Schritt voraus war. Denn Aoife war verschwunden. Wieder einmal. Darin war sie richtig gut.
    »Wo bist du hingegangen?«, murmelte er leise, denn plötzlich hatte er Angst, die Wände

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