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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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Steinkreuzes fiel über die Straße und tauchte eine Hälfte von Finbars Gesicht in Dunkelheit. Er schickte sich an, etwas Unangenehmes zu sagen, das merkte ich. Ich kniff die Augen zusammen und tat so, als säßen mir zwei Männer gegenüber: mein Freund und eine Person, die nur auf der Welt war, um mir meine Fehler vorzuhalten. Rate mal, wer an diesem Nachmittag die Oberhand hatte. Er fummelte am Verschluss seiner Rolex herum, und ich hätte sie ihm am liebsten vom Handgelenk gerissen und in den Hafen geworfen. Warum machte er denn nicht endlich den Mund auf?
    »Ich habe gesehen, wie du heute Morgen diesen ... diesen Streuner geküsst hast«, sagte er schließlich, ohne mich dabei anzusehen.
    »Spinnst du?«
    Finbar lächelte freudlos. Er meinte das wirklich ernst. Ich traute meinen Ohren nicht. »Davor hast du auch noch dein Fahrrad an mein Fenster gelehnt«, fuhr er fort und spielte wieder mit dem Verschluss seiner Uhr. »An mein Bürofenster. Und dann bist du über die Straße stolziert, hast dich nach vorne gebeugt und ihn geküsst. Den Typ in der Lederjacke. Ich hab's genau gesehen.« Finbar wollte keine Erklärung von mir. So war er nicht. Er traute seinen eigenen Augen und Ohren weit mehr als allen Ausreden der Welt.
    Ich suchte in meiner Tasche nach Roisins Kippen, fand aber keine. Der Schatten des Kreuzes war weitergewandert, und nur noch Finbars linkes Auge lag im Licht des Sonnenuntergangs. Na super, dachte ich. Ein Zyklop. Mein Freund ist ein prähistorisches Fabelwesen und geht mir wahnsinnig auf die Nerven - weil er mich wegen eines Gefühls anklagt, dass mir selbst gerade erst bewusst wird.
    »Er hat mir erzählt ... «
    Ich verstummte. Was hatte mir Jim denn eigentlich erzählt?
    Nichts, das ich nicht schon vorher gewusst hätte. In Wirklichkeit hatte er mich einfach zu sich gelockt, und als ich bei ihm war, wusste ich schon nicht mehr, warum.
    »Was erzählt?«, fragte Finbar, dessen himmelblaue Ermenegildo-Zegna-Krawatte wie ein durstiger Aal in seine Teetasse gekrochen war, als er nicht hingesehen hatte.
    Ich beschloss zu lügen. Nicht, weil ich gemein sein wollte, sondern weil die Wahrheit keinen Sinn ergab. Ich hoffe, du bist derselben Meinung. Hättest du mir geglaubt, dass Jim mir erzählt hatte, wie er einen aggressiven Bodybuilder in ein verängstigtes Bübchen verwandelt hatte? Mit einer geflüsterten Geschichte? Eben.
    »Dass er sich verirrt hat, total pleite ist und Geld braucht«, sagte ich. »Ich musste mich zu ihm beugen, weil ich ihn bei dem Motorenlärm sonst nicht verstanden hätte. Kann ich eine Zigarette haben?«
    »Nein. Du hast aufgehört.« Finbar studierte mein Gesicht wie immer, wenn er sich nicht sicher war, wem er nun trauen sollte: seinen Ohren oder seinem sechsten Sinn. Er hatte sich noch nicht entschieden.
    »Stell dich nicht an, Finbar. Gib mir eine Kippe. Ich hab ihm nur geantwortet.«
    »Was hast du ihm gesagt?«
    Ich griff nach Finbars Marlboros und schnappte mir eine, bevor er mich aufhalten konnte. Ich zündete sie an und blies Rauch in die Luft, bevor ich antwortete. »Ich habe gesagt, er soll woanders mit seiner kleinen roten Maschine spielen. Okay?«
    »Wirklich?«
    »Hast du mir nicht zugehört? Warum sollte ich einen Penner aus Dublin küssen, der auf einer Maschine in die Stadt fährt, die schon vor fünfzig Jahren Schrott von gestern war? Geht's dir noch gut?« Ich nahm noch einen Zug und sah ihn verstohlen an. Ich wollte abschätzen, ob mein Auftritt überzeugend gewesen war. Denn unter der Maske der treuen Freundin wusste ich genau, dass Finbars Eifersucht gerechtfertigt war. Ich hatte sie verdient, weil Jim mir unter die Haut ging wie ein Stein im Schuh. Sogar unter dem misstrauischen Blick meines Freundes fragte ich mich insgeheim, wo die rote Vincent Comet wohl abgeblieben war.
    »Na gut«, sagte er und griff nach seinem Mantel. Offenbar war das Verhör vorbei. Finbar zückte seine Autoschlüssel und lächelte dabei sogar. Er glaubte mir. Kurz glaubte ich mir sogar selbst, aber als ich mich erhob und hinter ihm das Cafe verließ, war ich bereits wütend auf mich selbst. Warum log ich für einen Mann, den ich überhaupt nicht kannte? Im Laufe der Geschichte würde ich natürlich noch viel Schlimmeres für ihn tun. Aber schön der Reihe nach.
    »Sehen wir uns morgen? «, fragte ich. Wir standen auf der engen Straße und hörten den vollgefressenen Möwen zu, die sich kreischend auf einen in den Hafen heimkehrenden, vollen Trawler stürzten.
    »Soll ich

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