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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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Fenster im Erdgeschoss zerbarsten und der Laden ausbrannte. Nur die Gefriertruhe, in der wir Eiskrem lagerten, blieb unversehrt. Nachdem wir die Überreste unserer Eltern zu Grabe getragen hatten, zogen wir auf den Hügel zu Tante Moira. Ich war dreizehn Jahre alt. Wir gewöhnten uns daran und fanden zu einer gewissen Normalität dort, bis wir uns alle eigene Wohnungen suchten.
    Ich vermied diese Route, wann immer es ging. Mein altes Zimmer im zweiten Stock war inzwischen ein Lagerraum für leere Weinkisten, wie ich durch die mit Salz verkrusteten Fenster erkennen konnte. Von der Straße aus war nicht zu sehen, ob meine Landkarte immer noch dort hing. Sicherlich nicht. Die Außenmauern zeigten immer noch den Weg, den die Flammen genommen hatten. Seit damals habe ich nie wieder ein Eis gegessen. Es würde mir im Hals stecken bleiben.
    Ich drehte mich um und blickte auf die majestätischen Trawler, die mit ihren Bäuchen voller Heringe im Hafen einliefen. Zwischen ihnen und mir lag der riesige Marktplatz der Stadt. Ich hasste jeden Quadratzentimeter, den ich sehen konnte.
    Tut mir leid, aber ich empfinde für meine Heimatstadt keinen Funken der Nostalgie, die in sämtlichen Reiseführern beschworen wird. Auch jetzt noch nicht. Man kennt das ja, der Bockmist über den irischen Frühling, rothaarige Cailfns auf weißen Pferden, die sich nach vorne beugen und mit feuchten Lippen stämmige George-Clooney-Doppelgänger mit Strickpullis und Tweedmützen küssen, während im Hintergrund ein unsichtbares Orchester so lange Volksweisen fiedelt, bis man aus dem Fenster springen will. Aber diese Phantasie ist der Grund, warum Finbar wahrscheinlich immer noch Strandhäuser verkauft, in denen wir anderen nicht einmal begraben werden wollen. Die Käufer kommen aus Portugal und Holland und haben unsere stille, langweilige kleine Stadt in eine ein bisschen lautere, reichere langweilige kleine Stadt verwandelt. Ich mag ja rote Haare haben, aber versuch mal, diese romantische Vorstellung mit dem Anfangsgehalt einer Lehrerin zu bezahlen. Du wirst schon sehen, wie weit du kommst.
    Ich sehnte mich danach, die Stadt zu verlassen. Ich wollte die Pyramiden endlich mit eigenen Augen sehen und nicht nur von ihnen träumen. Aber große Schwestern sind nicht dazu bestimmt, die Flügel auszubreiten. Sie bleiben, wo sie sind, und wischen allen anderen den Hintern ab.
    Und so radelte ich also zur Talion Road, um meine kleine Schwester Roisin fürs Abendessen bei meiner Tante einzusammeln. Ich hätte sie natürlich auch erst dort treffen können, aber damals hatte Rosie eine zu enge Beziehung zu den zahllosen Pints Starkbier, die sie in den dunkelsten Ecken der örtlichen Kneipen mit den nutzlosesten Männern der Welt hinunterstürzte.
    Männern, die niemals ihre Unterwäsche zu Gesicht bekommen würden, egal, wie sehr sie sich anstrengten. Ich spürte die Verantwortung in jedem Muskel meiner müden Beine, als ich meinen Drahtesel die letzten Meter zu ihrer Wohnung vorwärtstrieb.
    Drinnen roch es, als hätte sich ein Kamel unter ihrem Bett versteckt und sei prompt dort verendet. Rosie war zu Hause. Zwischen den zerwühlten Laken konnte ich ihre schwarzen Locken erkennen, und sie begrüßte mich mit einem Krächzen, das mir verriet, dass sie um halb sieben abends gerade aufwachte.
    »Haste 'ne Kippe?«, murmelte sie, und ich warf ihr die zweite von Finbar geklaute zu. Dann wühlte ich in dem Haufen schwarzer Gothic-Klamotten, die überall verstreut lagen, und entdeckte schließlich die Kaffeemaschine. Ich sah mich im Zimmer um und bemerkte, dass Rosies wertvollster Besitz und allerbester Freund auf der ganzen Welt letzte Nacht offenbar nicht ordentlich zu Bett gebracht worden war.
    Die Stimmen plapperten unaufhörlich, wie Heilige im Himmel, die sich über ihre Lieblingssünder austauschten und sich keinen Deut darum scherten, wer zuhörte.
    Ein brandneuer JCOM Je-91üH Hochleistungstransceiver für Kurzwellenfunk leuchtete grün auf einem unordentlichen Schreibtisch neben dem Bügelbrett. Das Ding war schwarz und klobig und das Beste auf dem Markt. Der Ton war noch an, und leise Fetzen von Übertragungen kämpften auf dem überfüllten UHF-Band um Aufmerksamkeit. Für mich klang das immer wie eine alte Fernsehsendung über Mondfahrten, in der Männer mit Bürstenschnitt und Kopfhörern lächelten, wenn sie die Jungs in der Metallkapsel irgendwo da draußen sagen hörten: »Wir empfangen euch klar und deutlich, Houston.« Aber für Rosie war dieser

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