Darling Jim
dich nicht fahren?«, fragte der Lügendetektor im Maßanzug.
»Ich muss noch ein paar Sachen für Tante Moira besorgen«, sagte ich, erleichtert, dass ich diesmal nicht lügen musste. »Sie kocht, und das überlebe ich nur, wenn ich den Schaden eingrenze und selbst ein paar Zutaten mitbringe. Zum Beispiel Nahrungsmittel, deren Haltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen ist.«
»Gott segne die tränenreiche Heilige Jungfrau«, stöhnte Finbar, bekreuzigte sich und schenkte mir ein echtes Lächeln. »Alter Gotteslästerer«, sagte ich und gab ihm einen Gutenachtkuss. »Sollen wir morgen gemeinsam zu Abend essen?«
»Nur, wenn du deinen Hell's Angel nicht mitbringst.«
»Wenn du so weitermachst, lass ich dich nie wieder ran, Finbar Christopher Flynu«, sagte ich. Aber ich lächelte, denn die Spannung war verschwunden. Er vertraute mir wieder. Ich habe mich oft gefragt, was passiert wäre, wenn meine Lüge an jenem Tag nicht funktioniert hätte. Vielleicht würde ich jetzt quicklebendig mit dir in deiner geheizten Wohnung sitzen und dir dabei zusehen, wie du im Tagebuch einer anderen verlorenen Seele schmökerst. Aber so ist es nun mal nicht. Lass uns das Beste daraus machen.
Als ich Finbar zu seinem silbrigen Auto gehen sah, wollte ich ihm unbedingt die Wahrheit sagen. Wie schwindelig mir heute Morgen gewesen war, als meine Füße wie von selbst die Straße überquert hatten, neugierig auf eine Geschichte, die noch keinen Sinn ergab. Dass mich Jims lässiger Charme und seine latente Gewalttätigkeit nicht nur zutiefst verängstigten, sondern auch anzogen. Aber ich blieb stumm. Am meisten fürchtete ich, dass man mich für bescheuert erklären würde, wenn ich den Mund aufmachte.
Als ich bei einem Supermarkt anhielt, um frisches Gemüse zu kaufen, erhaschte ich einen Blick auf mein Spiegelbild in der Schaufensterscheibe.
Die Frau in der Scheibe sah mich mit dem Blick einer Fremden an, die etwas gesehen hatte, das sie niemals würde erklären können.
VI.
Ein letzter Hauch von Tageslicht hing am Himmel, als ich das Geschäft verließ und meine Tüten in den Fahrradkorb stopfte. Draußen in der Bucht lag Beara Island wie ein riesiger Blauwal nach einem langen Tag voller Krill satt und zufrieden im Wasser. Der Frühling schickte sich an, sich in die Art Sommer zu verwandeln, die aus meiner Kleinstadt mit ihren achthundert Einwohnern eine Kleinstadt mit mehr als tausend Sommergästen machen würde, sobald der Juni kam. Ich fuhr an dem neuen Edelrestaurant vorbei, in dem sich nie mehr als zwei Gäste aufhielten, fuhr Slalom durch ein paar Schüler, die auf der Straße Fußball spielten, und hielt auf halber Höhe des Hügels an.
Ich hatte eigentlich nicht vorgehabt, diese Route zu nehmen, aber ich hatte fast vergessen, wie ich mich immer fühlte, wenn ich unser altes Haus sah. Ganz ehrlich - beschissener als ein Taubenschlag.
Aber da stand es in all seinem vergangenen Ruhm. Aus dem Zeitungsladen meines Vaters war ein Schnapsgeschäft geworden. Dem Inhaber schienen Geister nichts auszumachen. In dem zweistöckigen, grauen Rauputzhaus hatten meine Schwestern und ich eine relativ glückliche Kindheit verlebt. Vater stand frühmorgens auf und zerschnitt als Erstes die rote Nylonschnur der Zeitungsbündel, und wir halfen ihm alle nur zu gern dabei. Unser Haus war eine Zeit lang das wahre Zentrum der Stadt. Zu uns kamen die Lotteriesüchtigen, die Trinker, die reichen europäischen Touristen und alle anderen. Dad arbeitete fast jeden Tag und sprach nicht besonders viel. Mutter brachte uns alles über die Welt da draußen bei. Sie kaufte mir eine Landkarte des alten Ägypten, über die von Süden nach Norden eine blaue, wässerige Linie verlief. Ich zeichnete selbst links und rechts davon Tempel auf die Karte und hängte sie über meinem Bett auf. Ich träumte nie von Amenhotep und Ramses, aber das liegt wohl nur daran, dass ich damals ihre Namen noch nicht buchstabieren konnte.
Dann vergaß Dad eines Tages, die Propangasflaschen im Laden vom Gashahn abzunehmen. Eigentlich ein verzeihlicher Fehler, wie ich finde.
Wir Mädchen schliefen oben. Unsere Eltern waren unten gewesen, um den Laden für den nächsten Tag zu putzen. Als alles vorbei war und die Nachbarn uns rechtzeitig aus dem Haus gerettet hatten, hörten wir von den Gardai und der Feuerwehr, dass es wahrscheinlich einen Kurzschluss am Kühlschrank gegeben hatte. Wo zufällig auch die Propangasflaschen standen. Jedenfalls war die Explosion so heftig, dass alle
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