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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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das mit roten High Heels und einem knöchellangen weißen Ledermantel. Mit ihrem dämonisch dunklen Eyeliner sah sie aus wie Draculas Lieblingsnichte, und während ich in Gedanken noch jemandem nachhing, den ich eigentlich vergessen wollte, stand sie schon ungeduldig bei der Tür.
    »Hey! Woran denkst du denn? Kleine grüne Männchen?«, fragte Rosie, schenkte mir noch einmal ihr Killerlächeln und steckte sich eine neue Zigarette in den Mundwinkel wie ein Bergwerkskumpel nach Feierabend.
    »Nein«, sagte ich und hätte es gerne ehrlich gemeint.

VII.
    Beinahe hätte ich den winzigen Artikel über den ungeklärten Todesfall übersehen.
    Wir wollten gerade aufbrechen, aber Rosie hatte ihr Fahrrad so lange nicht benutzt, dass die Reifen platt waren. Während sie ihre Diele auf den Kopf stellte und nach einer Luftpumpe kramte, versuchte ich, Ordnung in die unzähligen Jacken zu bringen, die auf dem Boden verteilt waren. Ich hängte Webpelzmäntel mit Leopardenprint und mit Farbe beschmierte schwarze Lederjacken auf die Kleiderhaken und fand unter dem Haufen die letzten vier Ausgaben der Tageszeitung. Natürlich. Meine Schwester weigerte sich, das Gratisabonnement für The Southern Star zu nutzen, das ich ihr über einen Kunden von Finbar besorgt hatte. Sie beschäftigte sich lieber mit körperlosen Stimmen als mit realen Ereignissen.
    »Willst du dir eigentlich nur noch diese verfluchten Kurzwellen in den Kopf jagen? «, fragte ich und blätterte in der neuesten Ausgabe. »Oder dürfen wir dich irgendwann mal wieder in der Realität begrüßen?« Mich ärgerte nämlich nicht ihre pubertäre Protesthaltung, sondern die Vorstellung, dass sich ihre überragende Intelligenz bald in digitalen Matsch verwandeln würde. Mein kleines Genie würdigte mich keiner Antwort, schob ihr Rad nach draußen und strampelte los. Typisch. Ich faltete die Zeitung zusammen und wollte sie gerade zurück in die schmutzige Diele werfen, da sah ich den Artikel.
    Er war höchstens hundert Worte lang und glich all den anderen tragischen Geschichten, die manchmal in der Zeitung standen, denn mit den Touristenströmen steigt auch die Anzahl tödlicher Verkehrsunfälle. So einfach ist das. Was meine Aufmerksamkeit erregte, war, dass diese Zeilen irgendwie, na ja, falsch wirkten. Ich musste den Absatz zweimal lesen, um zu merken, was es war. Irgendetwas blieb ungesagt und angedeutet, und dieses Etwas hatte größere Bedeutung als die Worte auf der Seite:
    FRAU TOT AUFGEFUNDEN Von Deirde Houlihan
    BANTRY, 19. Mai: Gestern wurde Julie Ann Holland, 34, von Nachbarn in ihrem Bett gefunden. Laut Angaben der Gardai war sie bereits »seit einigen Tage tot«. Die Witwe wurde zum letzten Mal lebend gesehen, als sie letzten Samstag an einem Ceilidh bei Clonakilty teilnahm. Es gab keine Anzeichen für einen Einbruch oder einen Kampf Jeder, der Mrs. Holland an jenem Samstag in Begleitung einer anderen Person gesehen hat, soll sich mit sachdienlichen Hinweisen bitte an die Hauptwache der Macroom District Garda unter 026-20590 zu Händen Sergeant David Callaghan wenden. Laut Angaben von Nachbarn wurde letzten Samstag ein parkendes Motorrad in der Nähe von Mrs. Hollands Haus gesehen. Mrs. Holland hat einen Sohn, den sechsjährigen Daniel, der sich zurzeit bei seiner Großmutter aufhält.
    »Kommst du jetzt, oder was?« Meine IQ-Prinzessin hatte die Geduld mit mir verloren und wartete am Ende der Straße auf mich. Ich faltete die Zeitung zusammen, schob sie in meine Tasche und schloss die Tür ab. Dann radelte ich zu meiner Schwester und hörte mit halbem Ohr zu, wie sie mich wegen meiner Tagträumereien hänselte. Ich fragte mich, wie Mrs. Holland wohl gestorben war. Sicher nicht friedlich im Schlaf, sonst wäre der Artikel anders formuliert gewesen.
    »In Begleitung einer anderen Person« klang alles andere als friedlich. Warum sollte man Zeugen dazu anhalten, die Garda anzurufen? Doch nur, wenn man von einem Mord ausging. Und dieses Motorrad. Es hätte jede Farbe haben können, aber in meinem Herzen war nun mal nur Platz für Granatapfelrot. Ich schauderte und bemühte mich, über die Witze meiner Schwester zu lachen. Dann bogen wir um die Ecke und sahen Tante Moiras rosa gestrichenes Bed & Breakfast.
    Ich habe ja bereits erwähnt, dass die Klischees über glückliche Jungfern, die mit Wichteln und Elfen über die grünen Weiden unserer friedlichen Smaragdinsel tanzen, totaler Bockmist sind.
    Denn in diesem Sommer lauerten in den Hecken weit schlimmere Dinge als

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