Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
Vom Netzwerk:
abgehalten?«, fragte Roisin ihre Tante und sprach damit aus, was ich nur gedacht hatte. Ihre Stimme klang unschuldig, aber sie war auf Ärger aus.
    »Los, Mädchen, setzt euch und esst«, antwortete Moira. Sie weigerte sich anzubeißen und lächelte uns fast so freundlich an, wie sie es früher getan hatte. Sie schob uns in ein Zimmer, in dem wir als Kinder an einem glänzenden Mahagonitisch gesessen hatten und vor lauter Damastservietten und Kristallgläsern unser Gegenüber nicht erkennen konnten. Jetzt war die Tischplatte voller Macken, und unsere Tante hatte blaue Papierservietten mit dem Logo von Finbars Maklerfirma zusammengefaltet und in Gläser gesteckt, die ebenfalls ihre besten Zeiten lange hinter sich hatten. Die Quelle des Geruchs stand nun direkt vor uns auf der abgenutzten Leinentischdecke. In der Terrine schwammen graue Fleischklumpen, die wie erschöpfte Seehunde in der heißen Sonne nach Luft zu schnappen schienen. Alles Gemüse war bis zur Unkenntlichkeit verkocht, und die Kartoffeln waren beinahe schon Brei. Wie üblich hatte Moira mein frisches Gemüse dankend angenommen und in der Speisekammer deponiert. Das Essen am Freitagabend war ganz allein ihre Show, weil es die einzige Gelegenheit war, an der wir sie überhaupt noch besuchten.
    Rosie und ich setzten uns, und ich behielt sie im Auge, für den Fall, dass sie noch einmal Lust bekam, mich oder ihr Schicksal herauszufordern. Ein spöttisches Lächeln drohte ihr Make-up aufzubrechen, als sie das Sofa sah, das wie eine verfrüht aufgestellte Barriere gegen aufdringliche Weihnachtsmänner vor dem zweiten Kamin stand. Nur ein Blick von mir verhinderte, dass ihr Gruftie-Gehirn einen weiteren neunmalklugen Spruch hervorbrachte.
    Ein Stuhl war leer. Aoife war zu spät dran. Mal wieder.
    Und der Grund, aus dem ich sie erst jetzt vorstelle, ist der, dass sie stärker war als wir anderen. Roisins Zwillingsschwester glich ihr äußerlich wie ein Ei dem anderen, aber niemand hätte sie jemals verwechseln können, nicht einmal nackt. Denn während Rosie eine kalkulierte Aggression ausstrahlte, die eimerweise Eyeliner erforderte, wirkte Aoife so rein wie eine Gestalt aus dem Märchenbuch. Erinnerst du dich an die Werbung für den irischen Frühling, über die ich mich vorher lustig gemacht habe? Genau diesen Look hatte sie, aber natürlich postmodern. Der Soundtrack ihres Lebens waren nicht näselnde Dudelsäcke und vierblättrige Kleeblätter, sondern meistens Death Metal. Ihr Lieblingssänger war ein deutscher Typ, der sich mit Vorliebe auf der Bühne anzündete. Sie nähte ihre Kleider aus Stoffen mit Blumenmuster selbst und trug nur sie, egal, ob in Pumps oder barfuß. Meistens ging sie barfuß, wenn sie damit durchkam. Sie hatte die »Du wirst schon sehen, morgen ist alles wieder gut«-Einstellung unserer Mutter geerbt und wirkte damit auf Männer genauso unwiderstehlich wie Rosie, deren sexy Schmollen allerdings eher diejenigen anzog, die mehr Ringe in der Nase als an den Fingern trugen. Aber während mein Satansbraten sich noch nie für fleischliche Abenteuer mit dem anderen Geschlecht interessiert hatte, war ihre Zwillingsschwester in dieser Hinsicht eine unerschrockene Forschernatur, um es diskret auszudrücken.
    Als wir volljährig wurden, hatte uns die Versicherung unseren Anteil an der Feuerversicherung unserer Eltern ausbezahlt (und ich möchte betonen, dass, zumindest bei Rosie, volljährig keinesfalls erwachsen heißt). Aiofe hatte sich von dem Geld einen alten grünen Mercedes mit runden Scheinwerfern gekauft und ihr eigenes Taxiunternehmen gegründet. Sie verdiente kaum genug damit, um sich die Stoffe für ihre Hippiekleider leisten zu können, aber das war ihr egal. Wenn ihre Fahrgäste fragten, ob es für ein junges Mädchen nicht zu gefährlich sei, ganz alleine über die einsamen Landstraßen zu fahren, lüftete Aoife lächelnd die Fußmatte vor dem Fahrersitz. Dort hatte sie die alte Schrotflinte unseres Vaters versteckt, von der sie den Schaft und den Lauf abgesägt hatte. Das Ding sah hässlich und gefährlich aus, und das Feuer hatte das graue Metall in ein helles Kupfergold verfärbt. »Wer mir in meinem Taxi dumm kommt, wird es bereuen«, sagte sie dann immer mit einem breiten, fröhlichen Grinsen.
    Finbar hatte ihr im vorigen Jahr günstig ein heruntergekommenes Steincottage außerhalb der Stadt vermittelt, das mitten in den Feldern bei Eyeries stand. Die einzigen Nachbarn waren die Hammel, die neben der Straße grasten, und nach

Weitere Kostenlose Bücher