Darling Jim
zu, aber es wirkte nicht lüstern, sondern eher wie ein großer Bruder, der zwar uncool ist, sich aber nicht darum schert. Sobald er einen Raum betrat, fühlten sich sogar die Hunde wohl.
Schließlich war der Tag seiner Abreise gekommen. Als meine Schwestern und ich nach der Schule nach Hause kamen, standen seine Taschen in der Diele. Er selbst war nirgendwo zu sehen. Aber als Rosie nach oben schlich und ihr schon damals frühreifes Ohr an die frisch gestrichene Tür von Nummer fünf legte, hörte sie mehr als nur Kichern. Sie rannte nach unten und eröffnete uns, dass Harold wahrscheinlich bleiben würde. Und ich kann mich daran erinnern, dass ich einen kurzen Stich von Eifersucht spürte, weil er nicht mich gewählt hatte.
Zu sagen, dass Moira aufblühte, wäre reine Untertreibung gewesen. Durch Harold begann das Licht in ihren Augen, das schon seit Langem erloschen gewesen war, heller zu leuchten als die Sonne, die sich in den Wellen spiegelte. Sie küsste ihn zu heftig und zu oft in der Öffentlichkeit, und es war ihr völlig egal, ob jemand es sah. Und wenn ihr ihre merkwürdigen Ideen auf die Schultern stiegen und ihr ins Ohr flüsterten, war Harold immer zur Stelle, um sie wieder auf den Boden zurückzuholen. Wenn sie gemeinsam auf der Couch saßen, legte sie ihren Kopf an seine Brust. Es kam mir ganz natürlich vor, dass Harold nun die Verantwortung übernahm, die wir seit unserer Kindheit geschultert hatten. Er sagte mir, er habe »endlich die Frau gefunden, die er nie mehr verlassen wolle«. Deshalb begannen wir, unser eigenes Leben zu leben und den beiden ihre Privatsphäre zu gönnen.
Ich weiß, ich weiß. Du brauchst nichts zu sagen. Wenn du einen solchen Satz hörst, ergreifst du natürlich sofort die Flucht. Und das hätten wir auch tun sollen.
Denn die kleine Holländerin brachte ihn innerhalb von fünf Sekunden dazu, sein Versprechen zu vergessen.
Tante Moira kam an diesem Tag früher als sonst vom Markt zurück, denn sie wollte Harold mit einem besonderen Abendessen überraschen. Sie hatte noch nicht einmal ihre Taschen abgestellt, da hörte sie bereits das Stöhnen, das aus Nummer fünf drang. Sie öffnete die Tür und fand Harold auf einer kleinen Rucksacktouristin namens Kaatje. Moira stand wie vom Donner gerührt da, ihr Mund formte stumme Worte. Sie trug das neue geblümte Kleid, das sie extra für ihn gekauft hatte, und umklammerte immer noch eine Einkaufstasche. Schließlich realisierte sie, dass er nicht aufhören würde, obwohl er erwischt worden war. Kaatjes Technik und ihre glatte, gebräunte Haut überwogen den Schrecken darüber offenbar eindeutig.
»Sag deiner Putzfrau, sie soll die Tür zumachen, Harold«, sagte das Nymphchen, griff nach Harolds magerem Arsch und drückte ihn näher an ihren rasierten Schoß, ohne Moira nur eines Blickes zu würdigen. Harold drehte endlich den Kopf zu der Gestalt im Türrahmen und starrte sie bittend an, als wolle er sagen: »Schau dir doch dieses Mädchen an! Wie soll ein Mann da widerstehen?« Erst jetzt trat Moira einen Schritt zurück und schloss die Tür. Als sie unten ankam, begann sie zu weinen, aber so leise, dass es nur die Heiligen hören konnten.
Harold brach noch vor dem Abend mit Kaatje auf. Er nahm nur seinen Pass, das Bargeld und die Travellerschecks aus der Kasse des Bed & Breakfast mit. Moira versteckte sich den ganzen Tag über in ihrem Schlafzimmer und schlug sich mit den Fäusten gegen den Kopf. Er hinterließ keinen Abschiedsbrief.
Und jetzt, da niemand mehr da war, der sie in ihren dunkelsten Momenten zur Vernunft bringen konnte, schossen Moiras verrückte Ideen wieder in die Höhe wie Bohnensprossen nach einem Sommerregen. Aber nun machten sie uns allmählich Angst. Der Plastikjesus mochte ja noch angehen, aber seit einiger Zeit mehrten sich die Anzeichen. Auf unserem Weg vom Flur ins Esszimmer sahen Rosie und ich, dass die Landschaftsbilder verschwunden waren. Statt idyllischer Seen und Burgruinen, um die sich Rehe tummelten, hatte unsere Tante Heiligenstatuen aus weißem Gips gekauft und sie wie stumme Wächter zu beiden Seiten des Flures aufgereiht. Es sah aus, als bereite sich Gottes Armee auf den Angriff vor. Sie ging mit einer neuen, spröden Energie durch die Räume, wie mir auffiel, aber ich sagte nichts. Ich wusste, dass sie kurz vor einer neuen »Episode« stand und dass ich das unbedingt verhindern musste. Leider war mir Rosie keine große Hilfe.
»Haben die Nonnen ihren Weihnachtsmarkt dieses Jahr früher
Weitere Kostenlose Bücher