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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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jedem Regen verwandelten gelbe Iris die Welt dort in ein gelbes Meer. Das Dach war immer noch leck, aber Aoife liebte ihr Häuschen. Wenn ich unangemeldet bei ihr vorbei schaute, sah ich sie manchmal in Gummistiefeln und Shorts unter den Bäumen stehen, wo sie gedankenverloren die Natur genoss und dem Rauschen der Zweige und dem Gesang der Vögel lauschte. Oft sah ich ihr erst eine Weile lang zu, bevor ich mich bemerkbar machte, denn die Szene wirkte so natürlich und friedvoll.
    Ich selbst spürte so etwas nie.
    »Ich könnte einem Bauer in den Arsch beißen, so hungrig bin ich!«
    Wir drehten uns um und sahen sie grinsend ins Zimmer stürmen. Als Erstes stellte sie den Kuchen, den sie mitgebracht hatte, mitten auf den Tisch. Dann lief sie zu Moira und küsste sie so heftig auf beide Wangen, dass unsere Tante einen Moment lang vergaß, dass sie immer noch um ihre verlorene Liebe trauerte. Dann setzte sie sich und zwinkerte mir und Rosie zu. Wenn Aoife da war, hatte die eingebaute Opferhaltung unserer Tante keine Chance. Ihr grünes, gepunktetes Kleid leuchtete greller als der blinkende Neonheiligenschein über der Maria-Ikone neben der Tür.
    »Aoife, würdest du das Dankgebet sprechen?«, fragte Tante Moira, und Aoife tat ihr den Gefallen und senkte den Kopf.
    »Vater unser«, begann sie, die Augen auf der Ikone und bereits in den alten Automatismus zurückgefallen. »Segne dieses Mahl und alle Menschen in diesem Haus. Lass uns genießen, was Du uns dank Deiner Gnade so gütig beschert hast.« Nach einem gut gezielten Tritt unter dem Tisch faltete auch Rosie ihre Hände mit den kohlrabenschwarz lackierten Fingernägeln noch eilig zu einer annehmbaren Gebetspose, bevor das Gebet vorbei war.
    »Amen«, schloss Moira und begann, die traurigen, verkochten Fleisch- und Gemüseleichen zu servieren.
    »Wann war die Heilige Jungfrau in Las Vegas und hat sich diese Lichter besorgt?«, fragte Rosie, bevor ich es verhindern konnte. Tante Moira sah verletzt aus, murmelte etwas von Brot, stand dann auf und ging in die Küche.
    »Halt die Klappe«, zischte ich. »Hörst du mich, Brut der Nacht? Lass sie in Ruhe, verdammt noch mal!« Rosie stieg das Blut in die Wangen, was sogar durch die weiße Fuderschicht zu erkennen war. Sie zuckte die Achseln, als Moira mit einem Korb harter, mindestens zwei Tage alter Brötchen zurückkam.
    Aoife kaute ihr Essen, als würde es ihr schmecken, und lobte sogar Moiras Kochkünste. Dankbar stand unsere Tante auf und hauchte einen Kuss auf den frisch gestutzten Schopf ihrer Nichte. Ihr Schädel war fast kahl, nur ein paar Millimeter blondes Haar waren übrig geblieben. Sie sah aus wie ein blutarmer Kindersoldat.
    »Tut mir leid, dass ich so spät dran bin«, sagte Aoife, zwickte Rosie ins Knie und häufte eine zweite Portion verstorbenes Fleisch auf ihren Teller. »Aber gerade ist ein verdammtes Motorrad beinahe in mich reingerauscht. Ich musste wie eine Irre auf den Bürgersteig ausweichen.«
    »Wie sprichst du denn wieder«, tadelte Moira, aber sie lächelte immer noch. Aoife war ihre absolute Lieblingsnichte.
    »Oh, Entschuldigung.«
    »Was hast du über ein Motorrad gesagt?«, fragte ich so beiläufig wie möglich. Aber aus dem Augenwinkel sah ich, wie Rosie den Kopf schief legte und mich neugierig ansah.
    »Er schoss am St.-Finians-Friedhof vorbei, als säße ihm der Teufel im Nacken.« Sie kaute weiter und scharrte mit ihren pinkfarbenen Armeestiefeln auf dem Boden. »Sah gut aus, der Typ.« Nach der Farbe der Maschine brauchte ich gar nicht erst zu fragen.
    »Wohin fuhr er, was meinst du?«, fragte ich. »Zum nächsten Pub, wie es aussah. Wieso?«
    »Ach, ich habe nur überlegt, ob er zu den belgischen Bankiers gehört, die sich für Marlon Brando halten.« Jedes Jahr rasten alte Männer mit ledrigen Gesichtern und jungen Frauen über die Landstraßen unserer Gegend, verloren einen Haufen Geld und oft außerdem noch ein Bein. Die Gardai hatten immer alle Hände voll zu tun, hinter ihnen aufzuräumen. Ich nahm an, Rosie würde diese Ausrede als Grund für mein Interesse schlucken.
    »Zu früh im Jahr«, sagte Rosie lakonisch und kaute auf einem einsamen, beinahe weiß gebleichten Stück Brokkoli herum. »Die kommen erst im Juli.«
    »Oh nein, das war kein Tattergreis«, fuhr Aoife fort. Sie hatte ihren Raubtierblick. Erst vorgestern sollte sie einen ehemaligen Footballspieler zum Flughafen von Shannon fahren. Er kam nie dort an. Stattdessen verbrachte er die Nacht in ihrem Cottage und

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