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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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weitertrinken wollte.
    Seine Ohren waren vom Rauschen seines eigenen Blutes erfüllt, und ihm war noch nicht klar, welches Bild aus Fionas Erzählungen er sich als Erstes genauer betrachten sollte. Vielleicht ihre erste Begegnung mit Jim? Nein, die war glaubwürdig genug. Die kurze Affäre, die ihr Leben verändert hatte? Vielleicht sollte er sich den grausamen Tod, den sie und ihre Schwester gemeinsam mit ihrer Tante gestorben waren, noch einmal durch den Kopf gehen lassen. Schließlich hatte sich diese Tragödie kaum eine Viertelmeile von dem Postamt entfernt ereignet, in dem Niall täglich Briefe sortierte. Nein, es war unmöglich, sich für ein Bild zu entscheiden. Durch seinen Kopf rasten zusammenhanglose, wütende Gedankenfetzen, in denen sich Realität und Phantasie mischten, in denen Wölfe und in schwarzes Leder gewandete Männer an zerklüfteten Berghängen und in undurchdringlichen Wäldern wehrlose Frauen verfolgten. Niall berührte die letzte Seite noch einmal. Ihm war, als sähe er Jim in Reichweite vor sich, als müsste er nur durch das Pergamentpapier greifen und seine unrasierte Wange berühren, um sich zu versichern, dass er nicht nur Fionas Phantasie entsprungen war. Er fand es sehr beeindruckend, dass ihre Schrift bis zu den letzten Worten stetig und gleichmäßig geblieben war und nicht die Angst widerspiegelte, die sie gespürt haben musste. Sie hatte mit der Zielsicherheit eines eiskalten Killers auf den letzten Punkt zugeschrieben, unter dem eine dicke Linie den Schlussvorhang markierte. Aber was bedeutete der Satz über Father Malloy? Worauf sollte er Blumen werfen?
    Ach, wenn er doch nur mit Fiona reden könnte. Er hatte noch nie ein Mädchen kennengelernt, das so offen über ihre Fehler sprach und ihre Verletzlichkeit offenbarte, gleichzeitig aber in jedem Satz klarstellte, dass ihr Rückgrat aus einer seltenen, bislang unentdeckten, unzerstörbaren Stahllegierung bestand. Er fragte sich, ob sie wohl Freunde geworden wären. Wahrscheinlich hätte sie ihn gar nicht bemerkt, wie die meisten Mädchen, in deren Nähe er sich bislang gerne aufgehalten hatte. Vor kurzem erst war er an dem sogenannten Mordhaus in der Strand Street vorbeigelaufen, also wusste er genau, wo Fiona mit der Schaufel ausgeholt hatte, die Moira zwar nicht den Kopf von den Schultern getrennt, aber sie dennoch unter die Erde gebracht hatte. Niall hatte nicht vor, zu Fionas Grab zu gehen und dort ein sentimentales Versprechen abzulegen, die Pyramiden für sie zu fotografieren. Sie hätte nur die Augen verdreht und ihn einen Idioten genannt, weil er seine Zeit mit den Tüten verschwendete.
    Was sollte er also tun? Er nahm das Tagebuch noch einmal in die Hand. Doch diesmal berührte er es anders, als wäre es mit flüssigen Gedanken gefüllt, die heraustropfen könnten, wenn er nicht vorsichtig wäre. Zur Polizei also? Wollte er wirklich auf der Wache sitzen und einem Sergeant erzählen, dass er das Tagebuch illegal an sich gebracht und mit nach Hause genommen hatte? Was würde geschehen, wenn er sich lächelnd als barmherziger Samariter präsentierte und der fette Bürohengst seine Wurstfinger auf die Tastatur legte und herausfand, dass ein gewisser Niall Francis Cleary, einziger Sohn von Martin und Sarah, einmal beinah wegen Körperverletzung vorbestraft worden wäre?
    Würde es einen Unterschied machen, dass er damals fünfzehn gewesen war und mit dem Rücken an der Schulwand gestanden hatte, während der verrückte Larry und sein eifriger Helfer Charlie, die Ratte, Steine auf ihn warfen und seine Mutter einen verfluchten Krüppel nannten, weil sie einen Gehstock benutzte? Charlies und Larrys Eltern hatten die Anzeige nur zurückgezogen, weil Nialls Vater ihnen im Gegenzug seine Gratisdienste als Klempner versprochen hatte und sich noch Jahre später bei jeder Gelegenheit für seinen Sohn entschuldigte. Zu Hause wurde nie über die Sache gesprochen. Aber jedes Mal, wenn seine Mutter ihm Abendessen kochte und ihn fragte, ob es ihm schmecke, hörte er an ihrer Stimme, wie dankbar sie ihm war.
    Klar. Die Bullen würden ihm natürlich jedes Wort glauben.
    Am Arsch.
    Aber der Rest der Geschichte, die Roisin und Aoife widerfahren war, lag irgendwo bei der Sacred-Heart-Kirche in Castletownbere, falls der alte Father Malloy noch dort war. Niall schloss die Augen und versuchte sich vorzustellen, wer es geschafft hatte, aus dem Keller von Moiras Mordhaus zu flüchten. War es Aoife gewesen? Aber warum hatte man sie dann nicht

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