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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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wie ein Hund, immerhin wie ein recht gefährlicher Hund. Das Mädchen wachte auf und warf ihm einen desinteressierten Blick zu, bevor sie sich zur Seite drehte und versuchte weiterzuschlafen. Als der Kaffeewagen vorbeikam, faltete Niall die Zeichnung zusammen und legte sie wieder in seinen Skizzenblock. Er musste sich eingestehen, dass er eigentlich überhaupt nichts von Gefahr verstand. Er war noch nie dem wahren Bösen begegnet und hatte keine Ahnung von den unzähligen seltsamen Begebenheiten, die Fiona in ihrem Tagebuch beschrieben hatte. Wenn er die Aufgabe zu Ende bringen wollte, zu der er aufgebrochen war, musste er zumindest im Augenblick auf die Warnung seines ehemaligen Vorgesetzten hören. Die beruhigende und doch autoritäre Stimme aus dem Lautsprecher meldete sich erneut zu Wort.
    »Guten Morgen, meine Damen und Herren. Danke, dass Sie mit Iamr6d Eireann fahren. In wenigen Minuten erreichen wir Limerick Junction. Hier haben Sie Anschluss nach Limerick, Ennis und Tralee. Dieser Zug fährt weiter nach Cork.«
    Niall aß sein Sandwich auf und starrte wieder aus dem Fenster. Hinter dem spärlichen Gras neben den Gleisen lag ein offenes, sanft ansteigendes Feld, das von einer Reihe blauschwarzer Bäume begrenzt wurde. Weiter konnte er nicht sehen.
    Aber zum ersten Mal, seit er Fionas Tagebuch an sich genommen und sich spontan entschlossen hatte, zum Hüter ihrer Geschichte zu werden, verspürte er Angst.
    Es war beinahe dunkel, als Niall es endlich schaffte, zumindest in die Richtung zu trampen, in die er unterwegs war. Von Cork fuhren erst Stunden später Busse bis direkt nach Castletownbere, also musste er lange im eisigen Regen neben dem Bahnhof warten und fragte sich mehrmals, ob das die Sache überhaupt wert war. Cork City lag hinter dem eisernen Geländer, das Kent Station mit dem Rest der Stadt verband, und sah für Niall aus wie ein riesiger, grauer Teppich gleichförmiger Zementblöcke, die sich überall auf der Welt hätten befinden können.
    Taxifahrer schützten sich, so gut es ging, vor dem Regen und liefen an ihm vorbei in das Pub und wieder zurück. Sie starrten ihn verächtlich an und stuften ihn völlig zu Recht als einen Dritte-Klasse-Reisenden ein, der kaum noch Bargeld zur Verfügung hatte. Niall winkte ihnen halbherzig zu und fragte sich, ob Jim sich genauso schäbig vorgekommen sein mochte, als er durch diese Gegend gestreift war. Wahrscheinlich nicht, denn Jim hätte schon längst eine Dame dazu beschwatzt, ihn in ihr warmes Bett zu lassen, falls die Geschichte stimmte.
    Ein Jugendlicher auf einem Motorrad hielt neben ihm, ließ die Bremslichter aufblitzen und drehte ihm den Kopf zu.
    »Wohin des Wegs?«
    »So weit wie möglich in Richtung Castletownbere«, antwortete Niall und hörte eine leise Stimme in seinem Kopfflüstern, er solle lieber bleiben, wo er sei. Aber seine Turnschuhe fielen fast auseinander, und in den letzten fünf Stunden hatte niemand anderes angehalten.
    Hinter der rauchgrauen Sonnenblende blitzten weiße Zähne auf, und der Kerl im Sattel nickte und sagte: »Na dann steig auf, falls du hier keine Wurzeln schlagen willst.«
    Niall bereute schon sehr bald, dass er aufgestiegen war, und klammerte sich fest an die Taille des Fahrers, denn das schwarze Büke bäumte sich auf und raste mit einem Kreischen den Hügel hinab, das die Fensterscheiben in den hochanständigen pinkfarbenen und grünen Reihenhäusern vor Schreck erzittern ließ. Bald hatte er das Gefühl, sein Magen sitze ihm in der Wirbelsäule.
    Der Regen peitschte in Nialls Gesicht, als er versuchte, über die Schulter des, wie er annahm, jüngeren, schmal gebauten Mannes zu spähen. Über die Lederjacke hinweg sah er nur eine verwischte Baumreihe auf sich zurasen, die sie nur knapp nicht rammten. Die Beschleunigung war so stark, dass seine Finger ihren Griff um den Fahrer beinahe verloren, und er schrie dem Typen zu, er solle verdammt noch mal langsamer fahren. Aber entweder hörte der Mann mit der Wespentaille ihn nicht, oder er machte sich einfach einen Spaß daraus, das Gas noch weiter aufzudrehen.
    »Was in aller Welt machst du denn in dieser gottverlassenen Ecke?«, schrie der Fahrer und lehnte sich schwungvoll nach links Richtung Böschung, um einem Lieferwagen auszuweichen, der ihnen in der Mitte der Straße entgegenkam. »Hier kann man doch nur trinken und europäische Rucksacktouristinnen abschleppen. Bist du so 'ne Art Dichter? Oder ein Wanderfreak?«
    »Postbeamter«, schrie Niall, dessen Zähne

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