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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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schwindelig und er fühlte sich berauscht von der Aufregung, die einer Prügelei vorausging. »Aber sie sind offenbar noch nicht hier. Sie sagten, ich solle sie hier treffen, wenn die Kneipe aufmacht.«
    »Dein Glück, dass wir gestern Nacht gar nicht zugemacht haben«, sagte der Barkeeper und schob ein frisches Glas Bier vor den Mann mit den toten Augen.
    »Wie heißen deine Freundinnen?«, fragte der Kerl mit der verblassten Krawatte, und seine Stimme klang beinahe flehend. Sein Mund stand erwartungsvoll offen, und das verängstigte Niall, der sich gerade fragte, auf wen er zuerst losgehen sollte, falls der dicke Typ hinter dem Tresen gleich einen Baseballschläger unter der Bar hervorholte oder ihn mit einer anderen unangenehmen Überraschung konfrontierte. »Bitte«, beharrte der Mann. »Weißt du, ich hatte auch mal drei Freundinnen.« Seine Stimme erstarb. Er starrte auf das Bierglas vor sich und fügte hinzu: »Seltsam, wie das Leben so spielt. Seltsam ... «
    »Ganz ruhig, Finbar«, sagte der Barkeeper mit unerwarteter Zärtlichkeit und sah Niall mit einem Blick an, der ihm zu verstehen gab, dass die in Gucci gewandete Gestalt, die das vor ihm stehende Bier ignorierte, nicht ganz richtig im Kopf war. »Das fragst du alle, die hier reinkommen. Dieser nette junge Mann wollte gerade gehen.« Ein weiteres Hollywood-Lächeln, das zu verstehen gab, wie wenig Geduld er für Fremde übrig hatte, die nicht einmal eine glaubwürdige Geschichte im Ärmel hatten. »Stimmt's?«
    »Danke für das Bier«, sagte Niall, als er bezahlte, schulterte seinen durchnässten Rucksack und ging eilig zum Ausgang. Niall ging an der alten Kuppelnische vorbei und spürte, wie sich die Blicke beider Männer wie Pfeile in seinen Rücken bohrten. Er realisierte, dass Fiona und ihre Schwestern früher genau an der Stelle gesessen und auf Jims Geschichte gelauscht haben mussten, wo der kaputte Typ vor ein paar Minuten seine Zigarette ausgedrückt hatte.
    Erst als Niall auf der engen Straße stand, wurde ihm klar, wer diese traurige Gestalt gewesen war.
    Fiona hatte Finbar das Herz gebrochen. Aber ihr gewaltsamer Tod hatte dafür gesorgt, dass es nie wieder heilen würde.
    Die Dunkelheit verwandelte sich über der Bucht in silbriges Morgenlicht, aber in Castletownbere blieb es still. Das steinerne Gesicht des IRA-Freiwilligen sah auch aus der Entfernung nicht freundlicher aus als vorher. Der Crepe-Wagen hatte sich einen Weg gebahnt und wurde von dem heftigen Wind in Richtung Hafen getrieben. Die Fahrräder schlugen in ihren Ständern klappernd gegeneinander. Niall blinzelte ins Licht der noch niedrig stehenden Sonne, die über der Insel Beara aufging und die mit Moos bewachsenen Mauern des Hauses neben ihm zartrosa färbte. Er wollte sich gerade in einem Seitengässchen ein paar Minuten ausruhen, da sah er einen Streifenwagen langsam die Straße entlangrollen. Am Steuer saß eine humorlos aussehende Frau, die das Kinn auf die Brust gesenkt hatte. Niall seufzte und begann wieder stadtauswärts zu laufen. Er erinnerte sich, dass er vorher an der Straße ein im trüben orangefarbenen Licht der Straßenlaternen kaum lesbares Schild gesehen hatte, auf dem neben ein paar irischen Worten die Bezeichnung Bed & Breakfast gestanden hatte.
    Er war nervös, aber das lag wahrscheinlich noch an der lebensgefährlichen Motorradfahrt, die er hinter sich hatte. Aber er wurde das Gefühl nicht los, dass die gesamte Stadt ihn beobachtete. Was soll ich das nächste Mal bloß antworten, wenn mich jemand fragt, warum ich wirklich hier bin?, grübelte Niall. Die Antwort wusste er ja nicht einmal selbst.
    Die Frau, die Lachs für das Frühstück ihrer Gäste in Scheiben schnitt, sah in die Morgendämmerung hinaus und legte unwillkürlich das Tranchiermesser zur Seite.
    Eine zerrupfte Gestalt, die etwas auf dem Rücken trug, kam auf ihre Haustür zu. Sie war sicher, dass sie diesen jungen Mann vor ein paar Stunden schon einmal gesehen hatte, als er auf der Küstenstraße in Richtung Stadt marschierte. Als es noch dunkel gewesen war, hatte er den Kopf über den mageren Schultern gesenkt gehabt, aber sie erkannte den schlurfenden Gang wieder. Vorher hatte sie ihn, von ihrem Schlafzimmerfenster aus, für einen der Drogies gehalten, die sich in der Stadt diese grässliche Punker-Musik anhörten und dann ohne einen Cent in den Taschen auf dem Heimweg in ihre Rosenbeete kotzten.
    Es klingelte an der Tür, und sie drehte den Kopf. Der verfluchte Landstreicher stand vor der

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