Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
Vom Netzwerk:
wie Kastagnetten klapperten.
    »Na, alle Achtung«, lachte der Fahrer und brachte das Büke wieder in die Senkrechte. Die Straße fiel plötzlich steil ab und gab den Blick auf die schäumende See frei. »Heutzutage hat kaum noch ein Briefträger den Ehrgeiz, die Post wirklich bei jedem Wetter abzuliefern. Sehr bewundernswert, finde ich.« Der Regen ließ nach und wurde von Nebel abgelöst, der über den Asphalt wehte wie eine Wolke, die bei der letzten Kreuzung falsch abgebogen ist. Der dröhnende Motor verschluckte den nächsten Satz des fröhlichen Rasers, und er schaffte es, der heulenden Maschine noch ein bisschen mehr Geschwindigkeit zu entlocken, als er Niall immer tiefer in eine Gegend mit sich trug, in der sich nicht einmal die geduldigen Felsbrocken neben der Straße darum scherten, ob er überlebte.
    Es dauerte beinahe eine Stunde, bis sie endlich anhielten.
    Niall hatte zwischendurch mehrmals überlegt, abzuspringen und sich in einem schlammigen Graben in Sicherheit zu bringen. Aber er vermutete, dass er sich dabei wahrscheinlich den Hals brechen würde. Als sich die Straße weiter westwärts in Serpentinen die Berge hinauf- und hinabwand, hätte er dem Fahrer ein paar Mal fast auf den Rücken gekotzt.
    Als ein wettergegerbtes Schild an der Straße verkündete, dass sie sich bei BANTRY - Beanntrai befanden, klopfte Niall dem Kerl auf die Schulter, in der Hoffnung, er werde endlich vom Gas ablassen. Zu seiner Überraschung wurde der ohrenbetäubende Lärm leiser, und er spürte, wie das Motorrad abrupt langsamer wurde und in der Nähe einer Abzweigung zum Stehen kam. Niall kletterte vom Sattel, versuchte zu lächeln und streckte dankbar seine Hand aus. Der starke Wind peitschte nasse Kiefernzweige wie Besen gegeneinander.
    Der Fahrer schob das Visier hoch und zwinkerte.
    Und Niall sah, dass der Raser, der sie beide mehrmals umgebracht hätte, ein Mädchen Anfang zwanzig war.
    ,,Tausend Dank«, sagte Niall. »Aber ich glaube, den Rest der Strecke laufe ich.«
    »Gern geschehen«, sagte das Mädchen und warf Niall ein verschmitztes Lächeln zu, das ihn als Weichei einstufte. »Du hast länger durchgehalten als die meisten anderen. Merk dir eines: Auf dieser Straße solltest du nicht erst ausweichen, wenn du die Lichter eines Autos siehst, sondern wenn du den Motor hörst. Sonst spürst du nur noch den Aufprall, und dann ist es vorbei. Okay?«
    »Danke für den Tipp.«
    Das Mädchen legte den Kopf schief und musterte die traurige Gestalt vor sich, deren lange, verfilzte Haare und abgewetzte Jeans so gar nicht der Uniform der irischen Briefträger entsprachen. »Was, hast du gesagt, machst du hier in Beara?«
    »Ich habe gar nichts gesagt«, antwortete Niall und fühlte sich sehr allein an dieser Kurve an der Straße. Wie viele Passagiere vor ihm hatten wohl beschlossen, abzusteigen und ihr Glück ZU Fuß zu versuchen? »Ich suche jemanden.«
    »Dann finde ihn schnell«, sagte die Fahrerin, schob die Blende wieder vor ihr Gesicht und drehte das Gas auf. Sie sprach noch eine Warnung aus, aber das Plastik verschluckte ihre Worte, als sie abrupt wendete und dröhnend den Hügel hinauffuhr, direkt in eine tief hängende Wolke hinein. Niall stand eine Zeit lang am Straßenrand und lauschte dem leiser werdenden Motorengeräusch. Danach hörte er nur noch den Regen auf das Straßenschild prasseln. Er musste noch mehr als dreißig Meilen hinter sich bringen. Sein linker Turnschuh klaffte inzwischen so weit auf, dass seine schwarze Socke herausschaute wie ein neugieriger Salamander. Er hörte noch ein Echo zwischen den Felsen, als die Fahrerin einen Gang höher schaltete. Dann war alles still.
    »Ich glaube nicht an Omen«, sagte Niall zu den Bäumen. Er wollte nicht nur sie, sondern auch sich selbst davon überzeugen, aber er glaubte sich kein einziges Wort.

XIV.
    Das Einzige, was Niall erkannte, als er endlich ins Zentrum von Castletownbere schlurfte, war das einsame IRA-Monument, das Fiona in ihrem Tagebuch beschrieben hatte.
    Als er es sah, wusste er, dass er in der richtigen Stadt gelandet war. Niall blickte sich auf dem leeren Marktplatz um, der in der frühen Morgendämmerung nicht besonders einladend wirkte. Im schwachen Sonnenlicht, das die Spitzen der Dächer streifte, wirkte seine stümperhaft geplante Mission, den Tod der Walsh-Schwestern aufzuklären, noch viel hoffnungsloser als zuvor. Die ernste Gestalt im Zentrum des Steinkreuzes, deren strenges Gesicht nach links gewandt war und die über ihrem Mantel

Weitere Kostenlose Bücher