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Darling Jim

Darling Jim

Titel: Darling Jim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mork
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Milchglasscheibe und trat von einem Fuß auf den anderen, als müsse er dringend aufs Klo. Armer Kerl.
    Laura Crimmins hatte ihr ganzes Leben in dem bescheidenen einstöckigen Haus an der Bucht verbracht, in dem sie geboren worden war. Sie war eine burschikose Frau von undefinierbarem Alter, deren Armmuskeln stärker ausgeprägt waren als die der meisten Männer. Ihr schlohweißes Haar trug sie kurz, und sie behandelte die Gäste, die in ihrem winzigen Cottage übernachteten, mit einer so freundlich-brüsken Mütterlichkeit, dass den wenigsten auffiel, dass sie ständig den Tränen nahe war. Ihr Ehemann Clark war vor nicht allzu langer Zeit nach achtunddreißig Ehejahren gestorben; seither hatte sie gelernt, ihre Wut auf die Damen, die ihr voll Mitleid im Supermarkt zunickten, zu unterdrücken. Aber nicht ihre Trauer. Sie wischte das Messer sauber und steckte es in ihre Gesäßtasche, bevor sie die Tür aufmachte. Father Malloy hätte dies »eine Gelegenheit, Gutes zu tun« genannt. Lama stimmte ihm zu. Aber wenn ihr der Gesichtsausdruck des Fremden nicht behagen sollte - und alle Nachbarn sagten, ihre Menschenkenntnis sei beinahe unheimlich -, würde er keinen Fuß in ihr Haus setzen. Nach der Geschichte mit diesem Jim hatte sich ein gesundes Misstrauen in den Bewohnern der Gegend festgesetzt. Das konnte man niemandem vorwerfen.
    »Haben Sie ein Zimmer frei?«, sagte der arme Kerl vor der Tür, und er tat Lama aufrichtig leid. Er war beinahe noch ein Junge, und sein Schuh war wie ein Schlund weit aufgerissen, als wolle er auch gleich etwas sagen.
    »Hier entlang, Herzchen«, sagte Lama, legte dem jungen Mann eine Hand auf die Schulter und spürte, wie klatschnass der Stoff seines T-Shirts war. Sie hatte sich zwar geschworen, keine Streuner mehr aufzunehmen, aber sie würde es wieder tun. Denn trotz seines bescheuerten T-Shirts mit dem kreischenden Affen wirkte dieser Junge wie ein Welpe, den man ausgesetzt hatte. »Armer Kerl, du triefst ja«, sagte sie wie die Mutter, die sie vor vielen Jahren selbst gewesen war. »Geh in Zimmer Nummer acht, und dusch erst mal heiß. Ich lege dir ein paar trockene Sachen vor die Tür. Keine Widerrede.«
    Niall lächelte dankbar und nickte. Vielleicht stimmten die Gerüchte über den Argwohn und die Griesgrämigkeit der Leute von Munster ja genauso wenig wie die Märchen von den Einhörnern, die angeblich in ihren Vorgärten grasten. »Tausend Dank«, sagte er und schob sich mit quietschenden Schuhen an ihr vorbei. Dann drehte er sich mit ängstlichem Gesichtsausdruck noch einmal um und steckte eine Hand in die Tasche seiner Jeans, als wolle er überprüfen, ob sein Geld noch da sei. »Was kostet die Übernachtung denn?«
    Laura sah ihn noch einmal scharf an und blickte hinter das nasse Haar und das fröhliche Lächeln. Unter seiner Höflichkeit erahnte sie noch etwas anderes, einen Schutzwall, dessen Ursache ihr nicht ganz klar war. Dieser junge Mann würde sich nicht leicht von seinem Weg abbringen lassen, da war sie sicher. Aber egal, was ihn antrieb, er würde sich keinesfalls mitten in der Nacht in ihre Privaträume schleichen, um ihr die Kehle durchzuschneiden. Seine Haare waren viel zu lang, aber dieser Junge war in Ordnung. »Sagen wir dreißig Euro pro Nacht, Frühstück inklusive?«, fragte sie zurück und spürte den noch kalten Stahl neben ihrer Pobacke.
    »Super«, sagte Niall und ging zu seinem Zimmer. An der Tür zögerte er und drehte sich noch einmal um.
    »Brauchst du noch etwas?«, fragte die Pensionswirtin. Der junge Mann sah aus, als hätte er gerade einen Geist gesehen. »Das klingt vielleicht komisch, aber ... Kennen Sie ein junges Mädchen aus der Gegend, das ein schwarzes Motorrad fährt? Ziemlich schnell und äh ... ziemlich gefährlich.«
    Laura blickte zur Decke, durchsuchte ihr Gedächtnis und schüttelte dann den Kopf. »Hm, nö. Kenne ich nicht.« Dann erhellte ein Lächeln ihr Gesicht. »Ist das eine Freundin von dir? Soll ich noch ein Zimmer vorbereiten?«
    »Nein, ich kenne sie nur flüchtig«, wehrte Niall ab und hob entschuldigend die Hände. »Danke noch mal. Bis morgen dann.«
    Laura beobachtete, wie er in sein Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss. Dann drehte sie den Schlüssel in der Eingangstür und tauchte ihren Zeigefinger in das Weihwasserbecken, das neben dem der Heiligen Jungfrau geweihten Minialtar im Flur hing. Schwarzes Motorrad, dachte sie. So etwas gibt es hier doch gar nicht. Na ja, wer weiß? Sie bekreuzigte sich und sah

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