Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
schlafend vorstelle, sobald sein Name erwähnt wird.
Überhaupt nicht schlafen sollte man bei den Alarmsymptomen: Schluckbeschwerden, Gewichtsverlust, Schwellungen oder Blut in irgendeiner Form. Spätestens jetzt muss eine Kamera dem Magen einen kontrollierenden Besuch abstatten – egal, wie ungern man das macht. Das wirkliche Risiko beim Aufstoßen ist nämlich nicht die brennende Säure, sondern Gallenflüssigkeit, die aus dem Dünndarm über den Magen bis zur Speiseröhre hochgestoßen wird. Gallenflüssigkeit brennt überhaupt nicht, hat aber viel tückischere Folgen als die Säure. Von allen Menschen, die sauer aufstoßen, haben glücklicherweise nur ganz wenig Gallensäure mit dabei.
Gallensäure kann die Zellen der Speiseröhre stark verwirren. Sie sind sich plötzlich nicht mehr sicher: »Bin ich hier echt in der Speiseröhre? Dauernd kommt Galle? Vielleicht bin ich eine Dünndarmzelle und habe das all die Jahre nicht gemerkt … wie peinlich!« Sie wollen eigentlich nur alles richtig machen und verändern sich von Speiseröhrenzellen zu Magen-Darm-Zellen. Das kann schiefgehen. Mutierende Zellen können sich falsch programmieren und wachsen dann nicht mehr kontrolliert wie andere Zellen. Von allen Menschen, die stolpern, verletzt sich nur ein kleiner Prozentsatz dadurch brenzlig.
In den allermeisten Fällen sind und bleiben Aufstoßen und Sodbrennen ungefährliche, aber lästige Stolperer. Ähnlich wie man nach dem Stolpern die Kleider kurz zurechtrückt, den Schreck durch ein Kopfschütteln neutralisiert und gemäßigt weiterläuft, kann man sich auch beim Aufstoßen verhalten – ein paar Schlücke Wasser rücken zurecht, die Säure kann man neutralisieren, und im Anschluss läuft man am besten ein bisschen ruhiger weiter.
Erbrechen
Würde man hundert Menschen nebeneinanderstellen, die in nächster Zeit kotzen, ergäbe das ein sehr buntes Bild. Person 14 sitzt in der Achterbahn und reißt die Hände in die Höhe, Nummer 32 lobt den famosen Eiersalat, Nummer 77 umklammert ungläubig einen Schwangerschaftstest, und Person Nummer 100 liest gerade auf einem Beipackzettel »kann Übelkeit und Erbrechen verursachen«.
Erbrechen ist kein Stolpern. Erbrechen läuft nach einem präzisen Plan. Es ist eine Meisterleistung. Millionen kleine Rezeptoren testen unseren Mageninhalt, untersuchen unser Blut und verarbeiten Eindrücke vom Gehirn. Jede einzelne Information wird im riesigen Fasernetz aus Nerven gesammelt und zum Hirn geschickt. Das Hirn kann Informationen abwägen. Je nachdem, wie viel Alarm insgesamt geschlagen wird, fällt die Entscheidung aus: kotzen oder nicht kotzen. Das wird vom Hirn ausgesuchten Muskeln mitgeteilt, die sich dann an die Arbeit machen.
Würde man dieselben hundert Personen während dem Erbrechen einmal durchleuchten, bekäme man hundert Mal das gleiche Bild: Das alarmierte Hirn aktiviert den Hirnbereich für Übelkeit und stellt die Körperschalter auf Notfall. Wir werden blass, weil das Blut aus den Wangen abgezogen wird und in den Bauch wandert. Unser Blutdruck fällt ab, und der Herzschlag wird langsamer. Zu guter Letzt kommt der fast sichere Vorbote: Speichel. Er wird vom Mund in großen Mengen gebildet, sobald ihn das Gehirn über den aktuellen Stand der Dinge informiert hat. Damit sollen die wertvollen Zähne vor der Magensäure geschützt werden.
Zuallererst bewegen sich jetzt Magen und Darm in nervösen kleinen Wellen – sie schieben ihren Inhalt leicht panisch in völlig entgegengesetzte Richtungen. Dieses Zurückrudern können wir nicht spüren, weil es im unbewussten glatten Muskelbereich liegt. Genau in dieser Zeit merken allerdings viele Menschen ganz intuitiv, dass sie jetzt ein Behältnis aufsuchen sollten.
Ein leerer Magen hilft nicht gegen Erbrechen, denn der Dünndarm kann genauso seinen Inhalt zurückleeren. Dafür macht der Magen extra die Tür auf und lässt Dünndarminhalt wieder zurück. Bei so einem großen Vorhaben arbeiten eben alle zusammen. Wenn der Dünndarm dem Magen plötzlich seinen Inhalt entgegendrückt, kann dieser Druck im Magen sensible Nerven reizen. Diese Nerven schicken daraufhin Signale zum Brechzentrum im Gehirn. Jetzt ist klar: Alles ist zum Kotzen … bereit.
Die Lungen holen einen besonders tiefen Atemzug, die Atemwege werden verschlossen. Der Magen und die Öffnung zur Speiseröhre werden auf einmal ganz entspannt und – pautz – drücken das Zwerchfell und die Bauchdeckenmuskulatur einmal ruckartig von unten, als wären wir eine
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