Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
anzapfen können, dass das Immunsystem nicht überreagiert oder dass unsere Haut bei Sonnenlichtstress zum Schutz braun wird. Wenn eine Situation ungewöhnlich aufregend ist, kann das Gehirn eine Extradosis CRF ins Blut spritzen.
Allerdings wird nicht nur in den Gehirnzellen CRF gebildet, sondern auch in den Magen-Darm-Zellen. Auch hier bedeutet dieses Signal: Stress und Bedrohung! Wenn Magen-Darm-Zellen hohe Mengen CRF bemerken, ist es egal, woher das Signal kommt (Hirn oder Darm), allein die Information, dass einer von beiden gerade die Welt zu krass findet, reicht, um darauf mit Durchfall, Übelkeit oder Erbrechen zu reagieren.
Bei Hirnstress befördert das Erbrechen Nahrungsbrei heraus, um Verdauungsenergie zu sparen. Diese kann das Gehirn dann nutzen, um seine Probleme zu lösen. Bei Darmstress wird der Nahrungsbrei herausbefördert, weil er giftig ist oder der Darm gerade nicht imstande ist, gut zu verdauen. In beiden Fällen kann es ein Vorteil sein, sich zu entleeren. Es ist schlichtweg nicht die Zeit für gemütliches Verdauen. Menschen, die sich aus Nervosität übergeben, besitzen einen Verdauungsschlauch, der aufmerksam versucht zu helfen.
Übrigens: Sturmvögeln dient das Erbrechen auch als Verteidigungstechnik. Wer sich erbricht, wird von anderen Tieren eher in Ruhe gelassen. Forscher nutzen diesen Umstand. Sie nähern sich dem Nest der Tiere, halten den Vögeln kleine Kotzbeutel entgegen, und diese erbrechen dann zielgerichtet hinein. Im Labor wird der Mageninhalt anschließend auf Schwermetalle und Fischvielfalt überprüft, um zu schauen, wie gesund die Umwelt ist.
Hier ein paar Tipps, wie sich unnötige Kotz-Attacken minimieren lassen:
1. Bei Reiseübelkeit: Weit vorne zum Horizont schauen – so kann man die Information der Augen und die des Gleichgewichtorgans besser synchronisieren.
2. Mit Kopfhörern Musik hören, sich seitlich hinlegen oder Entspannungstechniken ausprobieren – das hilft einigen. Eine mögliche Erklärung hierfür ist die beruhigende Wirkung dieser Maßnahmen. Je sicherer wir uns fühlen, desto weniger unterstützen wir die Alarmstimmung im Gehirn.
3. Ingwer: Es gibt mittlerweile eine Sammlung an Studien, die belegen, dass Ingwer gut wirkt. Stoffe aus der Ingwerwurzel blockieren das Brechzentrum und damit den Brechreiz. In Bonbons oder Ähnlichem sollte Ingwer allerdings nicht nur als Geschmacksstoff, sondern in echter Form enthalten sein.
4. Medikamente gegen Erbrechen aus der Apotheke können verschieden funktionieren: Sie können Rezeptoren am Brechzentrum blockieren (dieselbe Wirkungsweise wie Ingwer), die Nerven aus Magen und Darm betäuben oder bestimmte Alarmmeldungen unterdrücken. Die Medikamente zur Alarmunterdrückung sind fast identisch mit Arzneimitteln gegen Allergien. Beide unterdrücken den Alarmstoff Histamin. Die Medikamente gegen Übelkeit können aber viel stärker im Gehirn wirken. Moderne Allergiemittel sind in letzter Zeit immer so weiterentwickelt und verbessert worden, dass sie kaum im Gehirn andocken. Dort macht das Unterdrücken von Histamin nämlich müde.
5. P6! Das ist ein Akupunkturpunkt, der in der Schulmedizin mittlerweile anerkannt wird, weil er in über vierzig Studien zu Übelkeit und Erbrechen gute Wirkung gezeigt hat – auch im Vergleich zu Placebos. Wir wissen also nicht, wie oder warum, aber P6 funktioniert. Dieser Punkt ist zwei bis drei Finger unterhalb des Handgelenks und zwar genau zwischen den beiden hervorspringenden Sehnen am Unterarm. Wenn gerade kein Akupunkteur in der Nähe ist, kann man versuchen, einfach sanft ein paar Mal über den Punkt zu streichen, bis es besser wird. Das ist dann zwar nicht mit den entsprechenden Studien belegt, aber eventuell ein lohnendes Selbstexperiment. Laut der traditionellen chinesischen Medizin aktiviert der Punkt Energiebahnen, die über die Arme durch das Herz laufen, das Zwerchfell entspannen und zum Magen oder weiter in das Becken laufen.
Nicht alle Tipps funktionieren bei allen Brechreiz-Auslösern. Mittelchen wie Ingwer, Apothekenware oder P6 können guttun – bei emotionalem Erbrechen hilft es oft am besten, wenn man dem eigenen, inneren Sturmvogel ein sichereres Nest baut. Durch Entspannungstechniken oder auch Hypnotherapie (bei einem echten Hypnotherapeuten und nicht etwa bei einem unseriösen Hypnotiseur!) kann man die eigenen Nerven trainieren, ein dickeres Fell zu bekommen. Je öfter und länger man übt, desto besser wird man – kleiner doofer Bürostress oder
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