Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
unseres Verdauungsrohrs und sehr gewissenhaft bei seiner Arbeit. Er lässt nur in klaren Ausnahmefällen zu, dass ein Verdauungsprojekt nicht vorankommt: beim Kotzen. Der Dünndarm ist da ganz pragmatisch. Er steckt keine Arbeit in etwas, das uns nicht guttut. Solche Dinge lässt er formlos unverdaut zurückwandern.
Die Torte ist nun, bis auf gewisse Reste, im Blut verschwunden. Eigentlich könnten wir diesen jetzt in den Dickdarm folgen – aber dann würden wir eine mysteriöse Kreatur verpassen, die hörbar ist und oft falsch verstanden wird. Das wäre schade, also bleiben wir noch kurz hier.
In Magen und Dünndarm liegen nach der Verdauung nur noch grobe Überreste herum: zum Beispiel ein unzerkautes Maiskorn, magensaftresistente Tabletten, überlebende Bakterien aus der Nahrung oder ein aus Versehen verschlucktes Kaugummi. Unser Dünndarm liebt Sauberkeit. Er gehört zu diesen Gestalten, die nach einem großen Essen immer gleich die Küche aufräumen. Besucht man zwei Stunden nach der Verdauung den Dünndarm, ist hier alles blitzblank, und es riecht kaum nach irgendetwas.
Eine Stunde nachdem der Dünndarm etwas verdaut hat, fängt er an, sich zu reinigen. Dieser Vorgang heißt im Lehrbuch »wandernder motorischer Komplex«. Dabei öffnet der Magenpförtner einmal kollegial die Tore und wischt seine Reste zum Dünndarm. Der wiederum übernimmt den Job und erzeugt eine kräftige Welle, die alles vor sich herschiebt. Mit einer Kamera betrachtet, sieht das so unvermeidbar rührend aus, dass selbst trockene Naturwissenschaftler den Motorkomplex als kleinen Haushälter ( housekeeper ) bezeichnen.
Jeder hat seinen Haushälter schon einmal gehört: Es ist das Magenknurren, und das kommt nicht nur aus dem Magen, sondern vor allem aus dem Dünndarm. Wir knurren nicht, weil wir Hunger haben, sondern weil nur zwischen dem Verdauen endlich mal Zeit fürs Putzen ist! Wenn Magen und Dünndarm leer sind, ist die Bahn frei, und der Haushälter kann loslegen. Beim lang geschaukelten Steak muss er besonders lange warten, bis er endlich putzen darf. Erst spätestens nach sechs Stunden Magen- plus etwa fünf Stunden Dünndarmaufenthalt kann hinter dem Steak aufgeräumt werden. Hören muss man die Putzaktion nicht immer, mal ist sie laut und mal leise, je nachdem, wie viel Luft in Magen und Darm gelangt ist. Wenn man in dieser Zeit etwas isst, wird die Putzaktion sofort abgebrochen. Es soll schließlich in Ruhe verdaut – und nicht durchgefegt werden. Wer also immer etwas nascht, lässt keine Zeit für Sauberkeit. Diese Beobachtung trägt dazu bei, dass einige Ernährungswissenschaftler empfehlen, fünf Stunden Pause zwischen den Mahlzeiten zu machen. Ob es bei jedem genau fünf Stunden sein müssen, ist allerdings nicht bewiesen. Wer ordentlich kaut, lässt weniger Arbeit für seinen Haushälter liegen und kann auch mal auf seinen Bauch hören, wenn es um das nächste Essen geht.
Dickdarm
Am Ende des Dünndarms ist die sogenannte Bauhin-Klappe. Sie trennt den Dünndarm vom Dickdarm, denn die beiden haben ziemlich unterschiedliche Arbeitsansichten. Der Dickdarm ist eher ein gemütlicher Zeitgenosse. Sein Motto ist nicht unbedingt »Weiter, nach vorne!« – er bewegt Nahrungsreste auch mal zurück und dann wieder nach vorne. So, wie es ihm gerade richtig erscheint. Bei ihm gibt es keinen wandernden Haushälter. Der Dickdarm ist die ruhige Heimat für unsere Darmflora. Wenn etwas unverdaut zu ihm gefegt wird, beschäftigt sich eben diese damit.
Unser Dickdarm arbeitet gemächlicher, weil er auf mehrere Beteiligte achten muss: Unser Gehirn möchte nicht immer aufs Klo gehen, unsere Darmbakterien möchten genug Zeit haben, um sich unverdauter Nahrung anzunehmen, und unser Restkörper möchte gerne die ausgeliehenen Verdauungsflüssigkeiten zurück.
Was im Dickdarm ankommt, erinnert nicht mehr an ein Tortenstück – und das sollte es auch nicht. Von der Torte übriggeblieben sind vielleicht noch ein paar Fruchtfasern der Kirsche auf dem Sahnehäubchen – der Rest sind Verdauungssäfte, die hier zurückresorbiert werden. Wenn wir große Angst haben, scheucht unser Gehirn den Dickdarm auf. Dann hat er nicht mehr genug Zeit, um Flüssigkeit zu resorbieren, und das Ergebnis ist Angstdurchfall.
Obwohl der Dickdarm (wie der Dünndarm) ein glattes Rohr ist, wird er auf Abbildungen immer wie eine Art Perlenkette dargestellt. Woher kommt das? Tatsächlich sieht der Dickdarm so aus, wenn man den Bauch öffnet. Das liegt allerdings nur
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