Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
gar nicht so einfach, sich und seinen Kindern ein paar Sushi-Verdau-Helfer einzuflößen. Bakterien müssen auch gerne dort leben, wo sie arbeiten sollen.
Wenn ein Mikroorganismus besonders gut zu unserem Darm passt, heißt das: Er mag die Architektur der Darmzellen, kommt mit dem Klima gut zurecht, und ihm schmeckt, was es zu essen gibt. Alle drei Faktoren sind von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Unsere Gene entwerfen unseren Körper mit – aber sie sind nicht die Chefarchitekten, wenn es um die Mikroben-Aufstellung geht. Eineiige Zwillinge haben zwar dieselben Gene, nicht aber eine identische Bakterienzusammensetzung. Sie haben noch nicht einmal wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als andere Geschwisterpaare. Unser Lebensstil, zufällige Bekanntschaften, Krankheiten oder Hobbys tragen mit dazu bei, wie die kleine Welt im eigenen Bauch aussieht.
Auf dem Weg zu unserer relativ ausgereiften Darmflora in unserem dritten Lebensjahr, nehmen wir allerlei in den Mund, einiges können wir gut brauchen, und es passt zu uns. So akquirieren wir immer mehr Kleinstlebewesen, bis wir von einigen hundert verschiedenen Bakterienspezies langsam auf über viele Hunderte Sorten Darmbewohner anwachsen. Für einen Zoo wäre das ein ganz schönes Angebot, das wir da mal so nebenbei aus dem Ärmel schütteln.
Dass unsere allerersten Bauchvölker wichtige Grundbausteine für die Zukunft unseres gesamten Körpers legen, ist mittlerweile allgemein anerkannt. Studien zeigen hier vor allem, wie wichtig unsere ersten bakteriensammelnden Lebenswochen für das Immunsystem sind. Schon drei Wochen nach unserer Geburt kann man anhand der Stoffwechselprodukte unserer Darmbakterien voraussagen, ob wir ein erhöhtes Risiko für Allergien, Asthma oder Neurodermitis haben. Wie kann es passieren, dass wir so früh Bakterien sammeln, die uns eher schaden als nutzen?
Ein gutes Drittel der Kinder in westlichen Industrienationen wird elegant per Kaiserschnitt in die Welt gehoben. Kein enges Gequetsche durch den Geburtskanal, keine unschönen Nebeneffekte wie »Dammriss« oder »Nachgeburt« – eigentlich klingt das nach einer feinen Welt. Kaiserschnittkinder kommen in ihren ersten Lebensmomenten größtenteils mit der Haut anderer Menschen in Kontakt. Ihre Darmflora müssen sie daraufhin irgendwie zusammenklauben, denn sie ergibt sich nicht zwingend aus den spezifischen Keimen der Mutter. Es kann auch gerne mal ein bisschen rechter Daumen von Krankenschwester Susi sein, ein bisschen vom Blumengeschäft-Mitarbeiter, der Papa den Strauß in die Hand gedrückt hat, oder ein bisschen von Opas Hund. Plötzlich können Dinge eine Rolle spielen wie die Motivation der unterbezahlten Krankenhaus-Putzkraft. Hat sie Telefone, Tische und Badezimmerarmaturen liebevoll oder lustlos abgewischt?
Unsere Hautflora ist nicht so streng reguliert wie die Geburtskanalgefilde und wesentlich stärker der Außenwelt ausgesetzt. Was auch immer sich dort sammelt, könnte eventuell bald im Babydarm sitzen. Krankheitserreger – aber auch weniger auffällige Gestalten, die das junge Immunsystem mit ulkigen Methoden trainieren. Bei Kindern, die per Kaiserschnitt geboren werden, dauert es Monate oder länger, bis sie normale Darmbakterien haben. Dreiviertel der Neugeborenen, die sich typische Krankenhauskeime einfangen, sind Kaiserschnittbabys. Sie haben außerdem ein erhöhtes Risiko, Allergien oder Asthma zu entwickeln. Laut einer amerikanischen Studie kann das Schlucken von bestimmten Laktobazillen das Allergierisiko bei diesen Kindern wieder senken. Bei normal entbundenen Säuglingen allerdings nicht. Sie sind sozusagen schon während der Geburt in den Probiotika-Zaubertrunk gefallen.
Ab dem siebten Lebensjahr kann man kaum noch Unterschiede ausmachen zwischen der Darmflora normal entbundener Kinder oder der von Kaiserschnittbabys. Die frühen Phasen, in denen das Immunsystem und der Stoffwechsel beeinflusst werden, sind dann allerdings schon vorbei. Nicht nur eine Kaiserschnittgeburt kann ungute Anfangszusammensetzungen im Darm kreieren – schlechte Ernährung, unnötiger Einsatz von Antibiotika, zu viel Sauberkeit oder zu viele Begegnungen mit unguten Keimen können auch ihren Anteil haben. Man sollte sich hiervon allerdings nicht verrückt machen lassen. Wir Menschen sind so riesige Lebewesen, wir können nicht alles mikrobig Kleine kontrollieren.
Die Darmbewohner eines Erwachsenen
In Sachen Mikrobiota gilt man als erwachsen, wenn man etwa drei Jahre alt ist. Erwachsen sein
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