Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
Fähigkeiten im Darm und passen sich dabei auch noch an unser Leben an. Niemand braucht dauernd ein Schnecken-Campinghaus, niemand braucht dauernd Muttermilch-Verdauungshilfen. Letztere verschwinden nach dem Abstillen langsam. Es ist noch nicht möglich, alle Darmbakteriengene auf einmal anzugucken. Einzelne Gene kann man allerdings ganz gezielt suchen, wenn man sie kennt. Wir können zeigen: Es gibt bei Babys mehr Gene zum Verdauen von Muttermilch als bei Erwachsenen. Im Darm von übergewichtigen Menschen findet man oft mehr bakterielle Gene für den Abbau von Kohlenhydraten, bei älteren weniger Bakteriengene gegen Stress, in Tokio können sie Seealgen zerlegen und in Pforzheim eher nicht. Unsere Darmbakterien geben grobe Auskunft darüber, wer wir sind: jung, moppelig oder asiatisch.
Die Gene unserer Darmbakterien geben auch Auskunft darüber, was wir können. Das Schmerzmittel Paracetamol kann für manche Menschen giftiger sein als für andere: Einige Darmbakterien stellen einen Stoff her, der die Leber beim Entgiften der Schmerztablette beeinflusst. Ob man bedenkenlos bei Kopfweh Tabletten schlucken kann oder nicht, wird unter anderem im Bauch entschieden.
Ähnliche Vorsicht ist geboten bei allgemeinen Ernährungstipps: Die Schutzwirkung von Soja vor Prostata-Krebs, Gefäßerkrankungen oder Knochenproblemen ist mittlerweile belegt. Mehr als 50 Prozent der Asiaten profitieren davon. Unter der westlichen Bevölkerung findet man die Wirkung nur bei 25 bis 30 Prozent. Genetische Unterschiede erklären das nicht. Bestimmte Bakterien machen den Unterschied: Sie kommen eher in asiatischen Därmen vor und kitzeln aus Tofu & Co. die gesündesten Essenzen heraus.
Für die Wissenschaft ist es großartig, wenn sie einzelne Bakteriengene findet, die für diese Schutzwirkung verantwortlich sind. Die Frage: »Wie beeinflussen Darmbakterien unsere Gesundheit?«, haben sie in diesem einen Fall schon beantwortet. Allerdings wollen wir mehr – wir wollen das große Ganze verstehen. Wenn wir alle bis jetzt bekannten Bakteriengene auf einmal angucken, treten einzelne Gengrüppchen für die Verarbeitung von Schmerzmitteln oder Sojaprodukten in den Hintergrund. Am Ende überwiegen die Gemeinsamkeiten: Jedes Mikrobiom beinhaltet viele Gene für den Abbau von Kohlenhydraten, Proteinen oder für die Herstellung von Vitaminen.
Ein Bakterium hat in der Regel ein paar tausend Gene, pro Darm gibt es bis zu hundert Billionen Bakterien. Erste Auswertungen von unseren bakteriellen Gensammlungen lassen sich nicht in Balken- oder Tortendiagrammen darstellen – die ersten Diagramme der Mikrobiomforscher sehen aus wie moderne Kunst.
Die Wissenschaft hat mit dem Mikrobiom ein Problem, das die Generation Google gerade auch hat. Wir stellen eine Frage, und sechs Millionen Quellen antworten uns gleichzeitig. Da sagt man nicht einfach: »Jetzt bitte noch mal jeder einzeln.« Wir müssen kluge Bündel packen, deftig aussortieren und wichtige Muster erkennen. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Entdeckung von drei Enterotypen im Jahr 2011 .
Heidelberger Forscher hatten damals die Bakterienlandschaft mit der neusten Technik untersucht. Man erwartete das gewohnte Bild: chaotische Mischungen aus allen möglichen Bakterien und ein großer Batzen unbekannter Spezies. Das Ergebnis war überraschend. Trotz Vielfalt gibt es eine Ordnung. Eine von drei Bakterienfamilien stellte jeweils die Mehrheit im Reich der Bakterien. Dadurch wirkt das Riesenkuddelmuddel aus mehr als tausend Familien plötzlich viel aufgeräumter.
Die drei Darmtypen
Zu welchem der drei Darmtypen man gehört, hängt davon ab, welche Bakterienfamilie den größten Teil in der Bevölkerung ausmacht. Zur Wahl stehen Familien mit den schönen Namen Bacteroides , Prevotella oder Ruminococcus . Forscher fanden diese sogenannten Enterotypen bei Asiaten, Amerikanern und Europäern, egal, ob man alt oder jung war, männlich oder weiblich. Durch die Zugehörigkeit zu einem Darmtypen ist es zukünftig vielleicht möglich, auf eine ganze Reihe von Eigenschaften zu schließen: wie Soja-Verwertung, starke Nerven oder das Risiko, an bestimmten Krankheiten zu leiden.
Vertreter der traditionellen chinesischen Medizin besuchten damals das Institut in Heidelberg. Sie sahen eine Möglichkeit, ihre uralten Lehren mit moderner Medizin zu verknüpfen. In der klassischen chinesischen Medizin wird der Mensch seit jeher in drei Gruppen eingeteilt – je nachdem, wie er auf bestimmte Heilpflanzen wie
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