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Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)

Titel: Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Giulia Enders
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Bakterien können subklinische Entzündung verursachen – hormonelles Ungleichgewicht, zu viel Östrogene, Vitamin-D-Mangel oder auch zu viel glutenhaltiges Essen wurden ebenfalls als mögliche Ursachen beobachtet.
    3 .
    Achtung: abgefahren! Eine 2013 postulierte Hypothese lautet: Darmbakterien können den Appetit ihrer Besitzer beeinflussen. Grob gesagt: Heißhungerattacken um 22 Uhr auf mit Schokolade überzogene Karamellbomben und hinterher noch eine Tüte Salzbrezeln entspringen nicht immer demselben Organ, das unsere Steuererklärung ausrechnet. Nicht im Hirn, sondern in unserem Bauch sitzt eine Bakterienfraktion, die nach Hamburgern schmachtet, wenn sie die letzten drei Tage von einer Diät heimgesucht wurde. Irgendwie macht sie das auf besonders charmante Art und Weise, denn wir können ihr kaum einen Wunsch abschlagen.
    Um diese Hypothese zu verstehen, muss man sich in die Materie »Essen« hineindenken. Wenn wir die Wahl zwischen verschiedenen Gerichten haben, entscheiden wir meistens nach Lust und Laune. Wie viel wir anschließend davon essen, wird vom Sattheitsgefühl bestimmt. Bakterien haben theoretisch Mittel und Wege beides zu beeinflussen: Lust und Sattheit. Dass sie auch ein Wörtchen mitreden, wenn es um unseren Appetit geht, kann man, wie gesagt, momentan nur vermuten. Ganz doof wäre es allerdings nicht – was und wie viel wir essen, kann in ihrer Welt Leben oder Tod bedeuten. In drei Milliarden Jahren Ko-Evolution hatten auch einfache Bakterien Zeit, sich optimal auf ihre Menschenwelt einzustellen.
    Um Lust auf bestimmtes Essen zu erzeugen, muss man in das Gehirn gelangen. Und das ist schwer. Das Gehirn ist eingepackt in eine feste Hirnhaut. Noch viel dichter als diese Haut sind Mäntel, die um alle Gefäße gelegt sind, die das Gehirn durchziehen. Durch diesen Wust kommen nur purer Zucker und Mineralstoffe und alles, was so klein und fettlöslich ist wie ein neuronaler Signalstoff. Nikotin zum Beispiel darf rein und Belohnungsgefühle oder entspannte Wachheit auslösen.
    Bakterien können solche kleinen Dinge herstellen, die trotz der Blutgefäßmäntel in das Hirn gelangen. Zum Beispiel Tyrosin und Tryptophan . Diese beiden Aminosäuren werden in Hirnzellen zu Dopamin und Serotonin umgewandelt. Dopamin? Na, hallo, wenn da nicht das Stichwort »Belohnungszentrum« aufkommt. Serotonin? Hat man auch schon mal gehört. Zu wenig davon bei Depression. Es kann zufrieden und schläfrig machen. Jetzt bitte einmal an das letzte große Weihnachtsessen denken. Auch zufrieden, träge und schläfrig auf dem Sofa dahingeschlummert?
    Die Theorie ist also: Unsere Bakterien belohnen uns, wenn sie eine ordentliche Ladung Essen bekommen haben. Das ist angenehm und macht Lust auf bestimmte Mahlzeiten. Nicht nur pur durch ihre Stoffe, sondern auch dadurch, dass sie unsere eigenen Transmitter ankurbeln. Dieses Prinzip gilt auch bei der Sattheit.
    In mehreren Studien konnte man zeigen, dass unsere eigenen Sattheits-Signalstoffe deutlich stärker ansteigen, wenn wir bakteriengerecht essen. Bakteriengerecht bedeutet: Dinge zu uns zu nehmen, die unverdaut im Dickdarm ankommen und dort von den Bakterien gegessen werden können. Nudeln und Toastbrot gehören überraschenderweise nicht dazu ;-) Mehr dazu auf Seite 263 (unter Präbiotika ).
    Sattheit wird generell von zwei Seiten signalisiert: einmal vom Gehirn und außerdem vom restlichen Körper. Hier kann schon viel schiefgehen: Gene für Sattheit können bei übergewichtigen Menschen fehlerhaft sein; sie schaffen es einfach nicht, ein Sattheitsgefühl hervorzurufen. Nach der Theorie des »egoistischen Gehirns« bekommt das Gehirn nicht genug von der Nahrung ab und entscheidet deshalb, dass es noch nicht satt ist. Aber nicht nur Körpergewebe und Denkorgan sind von unserem Essen abhängig – auch unsere Mikroben wollen ernährt werden. Sie wirken verhältnismäßig klein und unbedeutend – 2 Kilo Bakterien in einem Darm. Was haben die schon zu melden?
    Wenn wir uns überlegen, wie viele Funktionen unsere Darmflora hat, scheint es einleuchtend, dass auch sie ihre Wünsche äußern kann. Ihre Bakterien sind schließlich wichtigste Trainer des Immunsystems, Verdauungshelfer, Hersteller von Vitaminen und Meister bei der Entgiftung von Schimmelbrot oder Medikamenten. Die Liste ist natürlich noch länger – die Aussage sollte aber hier schon klar sein: Ein Mitspracherecht bei der Sattheit dürfte drin sein.
    Unklar ist noch, ob bestimmte Bakterien unterschiedliche

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