Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
sich die Geister, zumindest die der Wissenschaftler. Einige, die die Existenz der Enterotypen selbst nachgeprüft haben, konnten nur Prevotella und Bacteroides finden, aber keine Ruminococcus -Gruppe. Andere schwören auf diese dritte, und wieder andere meinen, es gebe auch eine vierte, fünfte usw. Gruppe aus anderen Bakterienfamilien. So etwas kann einem ganz schön die Kaffeepause auf einem Kongress versauen.
Einigen wir uns darauf: Es könnte sein, dass diese Gruppe existiert. Vorgeschlagenes Lieblingsessen: pflanzliche Zellwand. Eventuelle Kollegen: Akkermansia -Bakterien, die Schleim abbauen und Zucker ziemlich schnell in sich aufsaugen. Als Substanz produzieren Ruminococcen Häm. Das braucht man im Körper zum Beispiel, wenn man Blut herstellt.
Einer, der Probleme bei der Hämproduktion hatte, war vermutlich Graf Dracula. In seiner Heimat Rumänien kennt man einen genetischen Defekt, der so aussieht: Unverträglichkeit von Knoblauch und Sonnenlicht sowie die Produktion von rotem Urin. Der rote Urin kommt daher, dass die Blutproduktion nicht funktioniert und der Betroffene unfertige Zwischenprodukte auspinkelt. Die Schlussfolgerung damals war allerdings: Wer rot pinkelt, hat vorher Blut getrunken. Heute werden Menschen mit dieser Krankheit behandelt und nicht Hauptdarsteller in einer Gruselgeschichte.
Auch wenn es keine Ruminococcus -Gruppe geben sollte, diese Bakterien kommen trotzdem in unseren Därmen vor. Deshalb schadet es nicht, dass wir jetzt schon mal etwas mehr über sie wissen – und über Dracula und die Urin-Nuancen. Mäuse ohne jegliche Darmbakterien haben beispielsweise Probleme bei der Hämbildung; dass hierfür Bakterien wichtig sind, ist also kein völliger Irrsinn.
Jetzt haben wir die kleine Welt der Darmmikroben besser kennengelernt. Ihre Gene sind ein riesiger Pool ausgeliehener Fähigkeiten. Sie helfen uns damit beim Verdauen, stellen Vitamine her und andere nützliche Stoffe. Wir beginnen Enterotyp -Bündel zu packen und nach Mustern zu suchen. Wir tun das aus einem Grund: 100 Billionen kleine Lebewesen sitzen in unserem Bauch, und es liegt nahe, dass das nicht spurlos an uns vorbeigeht. Gehen wir einen Schritt weiter zu spürbaren Effekten und schauen uns genauer an, wie diese Darmbakterien bei unserem Stoffwechsel mitmischen, welche uns guttun und welche Schaden anrichten.
Die Rolle der Darmflora
Manchmal erzählen wir unseren Kindern große Lügen. Weil sie sehr schön sind, wie die vom bärtigen Mann, der einmal im Jahr allen Kindern etwas schenkt und dazu mit seinen aufgetunten Rentieren durch die Luft fliegt. Oder die vom Osterhasen, der im Garten Eier versteckt. Manchmal merken wir gar nicht, wenn wir nicht die Wahrheit sagen. Wie bei dem typischen Fütterritual: »Ein Löffel für die Tante. Ein Löffel für den Onkel. Einen für die Mama, einen für die Oma …« Würde man sein Baby wissenschaftlich korrekt beim Füttern unterhalten wollen, müsste man sagen: »Ein Löffel für dich, Baby. Ein geringer Teil des nächsten Löffels für deine Bacteroides -Bakterien. Ein ebenfalls geringer Teil für deine Prevotella -Bakterien. Und dann noch ein ganz winziger Teil für einige andere Mikroorganismen, die gerade in deinem Bauch sitzen und auf ihr Essen warten.« Man könnte auch noch den mitfütternden Mikrokollegen im Bauch einen freundlichen Gruß ausrichten. Bacteroides und Co. helfen beim Ernähren unseres Babys nämlich fleißig mit. Und das nicht nur im Säuglingsalter. Auch der erwachsene Mensch wird von seinen Darmbakterien häppchenweise zurückgefüttert. Darmbakterien bearbeiten Nahrungsmittel, die wir sonst nicht aufspalten könnten, und teilen die Überbleibsel mit uns.
Die Überlegung, ob Darmbakterien unseren Stoffwechsel insgesamt beeinflussen und so auch unser Gewicht mitregulieren, ist gerade mal ein paar Jahre alt. Zuerst zum Basiskonzept: Wenn Bakterien bei uns mitessen, dann klauen sie nichts von uns. Darmbakterien halten sich kaum dort im Dünndarm auf, wo wir selbst unsere Nahrung aufspalten und absorbieren. Die höchsten Bakterienkonzentrationen sind dort, wo das Verdauen schon beinahe vorüber ist und nur noch das Unverdaute durchtransportiert wird. Je näher man vom Dünndarm zum Darmausgang kommt, umso mehr Bakterien befinden sich pro Quadratzentimeter auf der Darmschleimhaut. Diese Verteilung soll auch so bleiben, dafür sorgt unser Darm. Ist das Gleichgewicht gestört, und die Bakterien wandern übermütig und in großer Zahl in den Dünndarm,
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