Darm mit Charme: Alles über ein unterschätztes Organ (German Edition)
nur körperlich anstrengend – sondern zum Verzweifeln.
In solchen Notsituationen müssen Ärzte wirklich kreativ werden. Einige mutige Mediziner transplantieren zurzeit einfach eingeschworene Bakterienteams mit allen möglichen echten Darmbakterien von gesunden Menschen. Das geht glücklicherweise relativ einfach (in der Tiermedizin heilt man so seit Jahrzehnten erfolgreich viele Krankheiten): Man braucht nur gesunden Kot inklusive der Bakterien, und das war’s. Team-Mix-Absolut heißt hier also »Stuhltransplantation«. Bei medizinischen Stuhltransplantationen bekommt man den Kot nicht einfach pur, sondern aufgereinigt. Von hinten oder von vorne ist dann auch egal.
Die Erfolgsquote bei schwerem, bislang unheilbarem Clostridium difficile -Durchfall beträgt in fast allen Studien etwa 90 Prozent. Es gibt wenige Medikamente, die eine so hohe Erfolgsquote haben. Das Verfahren darf trotz der guten Ergebnisse momentan nur bei wirklich hoffnungslosen Fällen angewandt werden. Man kann nämlich noch nicht abschätzen, ob man eventuell Krankheiten anderer oder potentiell schädliche Keime mitüberträgt. Einige Firmen sind auch schon dabei, künstliche Transplantate mit einer Garantie auf »Schadensfreiheit« zusammenzustellen. Wenn das klappt, dürfte es das Ganze etwas vorantreiben.
In der Transplantation von guten Bakterien, die dann auch dauerhaft anwachsen, liegt wohl das größte Potential der Probiotika. Das Verpflanzen hat sogar schon bei drastischen Fällen von Diabetes zu guten ersten Ergebnissen geführt. Zurzeit wird auch getestet, ob dadurch der Ausbruch von Diabetes Typ 1 verhindert werden kann.
Wie man von Stuhlgang auf Diabetes kommt, mag für manche ein großer Sprung sein. Eigentlich ist es aber gar nicht so abwegig: Man transplantiert eben nicht einfach nur verteidigende Bakterien, sondern ein Mikrobenorgan, das den Stoffwechsel und das Immunsystem mitreguliert. Wir kennen über 60 Prozent dieser Darmbakterien noch gar nicht. Das Erkunden von eventuell probiotisch wirkenden Arten ist aufwendig, so wie früher die Suche nach medizinisch wirksamen Kräutern. Nur diesmal lebt unsere Medizin mit uns. Jeder Tag und jede Mahlzeit beeinflussen auch das große Mikrobenorgan – positiv wie negativ.
Präbiotika
Bei den Präbiotika geht es genau darum: durch bestimmtes Essen gute Bakterien fördern. Präbiotika sind so viel alltagstauglicher als Probiotika. Für sie muss nur eine Voraussetzung gegeben sein: Irgendwo im eigenen Darm müssen gute Bakterien sein. Diese kann man dann mit präbiotischem Essen fördern und gibt ihnen so immer mehr Macht gegenüber den schlechten.
Weil Bakterien viel kleiner sind als wir, sehen sie Essen aus einer ganz anderen Perspektive. Jedes Körnchen wird da zu einem unfassbaren Event, ein Kometbrocken voller Köstlichkeit. Alles, was wir nicht im Dünndarm aufnehmen können, nennen wir »Ballaststoffe«. Dabei sind sie gar keine unnötigen Lasten, zumindest nicht für unsere Bakterien im Dickdarm. Sie lieben Ballaststoffe. Nicht alle Sorten, aber manche. Einige Bakterien mögen unverdaute Spargelfasern, andere bevorzugen unverdaute Fleischfasern.
Einigen Ärzten ist mitunter gar nicht klar, warum sie ihren Patienten empfehlen, mehr Ballaststoffe zu essen. Sie verordnen damit eine ausgiebige Bakterienfütterung, die uns zugutekommt. Endlich gibt es genug zu essen für die Darmmikroben, damit sie Vitamine und gesunde Fettsäuren herstellen oder das Immunsystem mal wieder anständig trainieren. In unserem Dickdarm sitzen allerdings auch immer Krankheitserreger. Sie können aus bestimmtem Essen Stoffe produzieren wie Indol, Phenole oder Ammoniak. Das sind die Dinge im Chemieschrank mit den Warnsymbolen.
Präbiotika setzen genau hier an: Sie sind Ballaststoffe, die nur von netten Bakterien gegessen werden können. Gäbe es so etwas für Menschen, wäre die Kantine ein Ort der Offenbarungen! Haushaltszucker ist zum Beispiel kein Präbiotikum, weil ihn auch Kariesbakterien mögen. Schlechte Bakterien können Präbiotika nicht oder kaum verwerten und daraus also auch nichts Schlimmes herstellen. Die guten Bakterien werden gleichzeitig immer kräftiger und erobern mehr und mehr Revier.
Wir essen allerdings oft nur wenige Ballaststoffe – geschweige denn Präbiotika. Von den 30 Gramm Ballaststoffen, die wir täglich essen sollten, kommen die meisten Europäer nur auf etwa die Hälfte. Das ist so wenig, dass ein harter Konkurrenzkampf im Darm entsteht, und hierbei können auch
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