Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Kapverdischen Archipels. Um drei Uhr geht sie vor der Hauptstadt Porto Praya, heute Praia geschrieben, vor Anker. Nichts kann Darwin jetzt mehr aufhalten. Er geht erstmals in der Fremde an Land.
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Kapverdische Inseln
Ankunft in São Tiago · Das Prinzip Vergleich · Die Spur der Steine · Darwins Initiation · Die weiße Schicht · Ausflug ins Inselinnere · Ein Junge namens Sydney
Die besten Reisen beginnen mit dem geringsten Ballast. Überflüssiges hinter sich lassen, Gewissheiten aufgeben, frei und offen für das Neue loswandern - dabei alles erwarten, ohne etwas zu erwarten. Je mehr Gewicht wir über Bord werfen, desto leichter können wir uns einlassen auf das Spiel von Zufall und Schicksal, dem wir das Leben verdanken. Das Großartigste, was wir in der Fremde finden können, sind ohnehin wir selbst.
Die großen Reisenden wissen das. Auch der junge Darwin muss es gespürt haben, als ihm die kapverdische Hauptinsel São Tiago erstmals die Gelegenheit gibt, die Beagle zu verlassen und ein Land zu erforschen. Zunächst zeigt er sich noch ernüchtert. Die Umgebung von Porto Praya bietet von See her ein trostloses Bild. Mein Urteil fällt kaum günstiger aus. Ich habe noch kein Land erlebt, dessen Name so wenig zu seiner Wirklichkeit passt. Nur ein paar Wochen im Jahr, während und kurz nach der Regenzeit, zeigt es sich »verde«, grün, die übrige Zeit fast flächendeckend staubtrocken und graubraun.
Nach der Landung verändert sich der Eindruck. Da besitzt die neuartige Ansicht eines gänzlich unfruchtbaren Landes eine Erhabenheit, die mehr Vegetation verderben könnte. Unverstellt von Wäldern und Bewuchs, heben sich in scharfen Linien finstere Rücken vom diesig blauen Himmel ab. Der Horizont wird von einer unregelmäßigen Kette erhabener Berge eingefasst. Die Landschaft ist, durch die diesige Atmosphäre dieses Klimas betrachtet, von hohem Reiz, wenn denn ein Mensch, der frisch von See kommt, überhaupt etwas anderes als sein eigenes Glück fassen kann.
Über die Kanten der Höhenzüge stoßen weiße Passatwolken, die
sich strichgerade in nichts auflösen. Längst erloschen der einst aus dem Ozean emporgestiegene Vulkan, dem dieses Eiland Form und Existenz verdankt. Abermillionen Jahre hatte das Wasser Zeit, tiefe Täler und dramatische Schluchten in die Gesteinsmassen zu schneiden. Dabei hat es ausladende, angenehm klimatisierte Hochebenen zurückgelassen. Außerhalb der Hauptstadt Praia mit ihren vielen unverputzt betongrauen, eng auf eng in die Seitentäler gedrückten Behausungen verleiht menschlicher Einfluss dem Land mit Terrassen, Obstplantagen, Agavenhecken und blühenden Gärten in den wenigen bewässerten Talsohlen hier und da sogar einen fast lieblichen Charakter.
Nach seinem ersten Landgang notiert Darwin: Es war ein wunderbarer Tag für mich, als ob man einem Blinden Augen schenkte - er ist überwältigt von dem, was er sieht, und kann es zu Recht nicht begreifen. Das sind meine Gefühle, und so mögen sie bleiben. Er macht das Beste, was ein Reisender auf unbekanntem Terrain im ersten Augenblick tun kann: Instinktiv begegnet er dem Unbekannten mit den unschuldigen Augen eines Neugeborenen, das zum ersten Mal die Welt in ihrem Licht erfasst. Noch geblendet von der Helligkeit, begreift er sie als Bündel von Fragen, die nach Antworten verlangen. Indem er diesen Blick zulässt, öffnet er seine Optik bis hin zur Totalen, in der alle seine Entdeckungen, Erlebnisse und Erkenntnisse Platz finden sollen.
Tastend bewegt er sich durch ein Wunderland. Noch ohne den strengen Sezierblick des Naturforschers lässt er Entzücken und Missfallen gleichermaßen zu. Ein Kokoshain darf einfach ein Kokoshain sein, die Banane schmeckt ihm nicht, denn sie ist leicht widerlich süß , er genießt erstmals das unaussprechliche Vergnügen, auf einer wilden und verlassenen Insel unter der tropischen Sonne umherzuwandern .
Diesen Ort haben weder Humboldt noch Darwins andere Vorbilder je betreten oder beschrieben. Von Anfang an ist er auf seine eigene Urteilskraft angewiesen. Dabei stellt er sein wichtigstes mentales Werkzeug auf die Probe, das ihm bis zum letzten Tag seiner Reise, wenn man so will, auch seines Lebens, helfen wird, sein Weltbild zu formen: Er vergleicht.
Damit tut er bewusst genau das, was das Leben, wie wir es kennen, vom Rest der Materie unterscheidet. Die Fähigkeit, zu erkennen, zu vergleichen und zu entscheiden, könnte Leben sogar ausmachen. Jedes
Wesen, das Information aus seiner
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