Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Umgebung aufnehmen kann, setzt sie zu seinem inneren Zustand in Beziehung. Schon eine Amöbe weiß, wohin sie sich bewegen muss, um an Nahrung zu gelangen. Alles, was unsere Sinne uns vermitteln, vergleichen wir bewusst oder unbewusst mit dem, was wir bereits wissen und kennen. Nur so können wir die Welt beurteilen, Neues erkennen und Entscheidungen fällen.
Selbst Moleküle, die kleinstmöglichen Körpern gleichen, »wissen« aufgrund ihrer Form, welche anderen zu ihnen passen oder nicht. Wenn sie einander nahekommen, können sie in fast allen Fällen nichts miteinander anfangen und bleiben neutral - so wie auch die allermeisten Lebewesen ohne gegenseitigen Einfluss nebeneinanderher leben. Sobald aber zwei Moleküle zueinanderpassen und sich finden, können sie sich mehr oder weniger fest verbinden und ganze Kaskaden von Abläufen auslösen.
Wenn man so will, finden und verbinden sich schon auf molekularer Ebene Partner, die Affinitäten zueinander besitzen. So gesehen steht eine Urform der Partnerschaft am Anfang des Lebens, der Ursprung der Liebe. Nur wer zur Verbindung fähig ist, findet den anderen. Das setzt sich fort bei den Zellen, die sich zu Geweben verschweißen, Organen, die Organismen bilden, ja sogar allen Individuen, deren Existenz sich nur aus Sicht der Gemeinschaft verstehen lässt. Gemeinsam können sie - wie Hammerkopf und Hammerstiel oder Pianist und Piano - Eigenschaften besitzen, die jedem Einzelnen fehlen. Dieses »Emergenz« genannte Phänomen durchzieht die Geschichte des Lebens wie ein roter Faden.
Im weiteren Sinne bildet das Zusammenwirken einzelner Einheiten sogar einen Grundpfeiler allen irdischen Lebens. Ei und Spermium müssen einander (über Oberflächenmoleküle) zunächst erkennen, bevor sie sich vereinigen können. Das Gleiche gilt für ihre jeweiligen Erbsubstanzen. Passen diese nicht gut genug zusammen, kommt es nicht zur Entwicklung von Embryo und Organismus. Die Grenzen können zwar fließend sein, doch wenn sie eindeutig sind, sprechen Biologen von eigenen Arten - jenes Phänomen, über das Darwin sein Leben lang nachdenken wird, ohne auch nur die Spur von molekularen Vorgängen zu kennen.
Über die Artenfrage besteht unter Fachleuten bis heute so große Uneinigkeit, dass manche sogar vorschlagen, den Artbegriff ganz zu
streichen. Die tauglichste Definition fasst diejenigen Lebewesen in einer Spezies zusammen, die miteinander zeugungsfähige Nachkommen haben können und damit eine Fortpflanzungsgemeinschaft bilden. An den Grenzen, die Darwin immer wieder beschäftigt haben, stehen zum Beispiel Esel und Pferd. Sie gehören zwar unterschiedlichen Arten an, stehen sich biologisch aber so nahe, dass sie gemeinsam Nachwuchs zeugen können. Doch die Maultiere (Vater Esel) und Maulesel (Mutter Eselin) sind steril.
Von Beginn seiner Reise an setzt Darwin praktisch alles, was ihm wichtig erscheint, zueinander in Beziehung und stellt Zusammenhänge her. Sollte nur ein Faktor herausgehoben werden, der sein Erfolgsrezept verstehen lässt, dann diese Bereitschaft, alles an allem zu messen und jedes Detail als Baustein eines wahrhaft gigantischen Puzzles zu begreifen. Dieses Universelle macht das Geniale an Darwins Arbeit aus.
Bei alledem gestattet er sich zu Beginn, das zu sein, was er ist: ein ziemlicher Anfänger. Vor allem auf dem Gebiet der Biologie tritt er praktisch ohne fundiertes Vorwissen an, sieht man von den Käfern ab, die er schon als Junge gesammelt hat, ein paar englischen Pflanzen und einigen niederen Meeresorganismen, zu denen er während seines verpatzten Medizinstudiums in Edinburgh Zugang gefunden hat. Er beobachtet fast beliebig, sammelt praktisch ohne System ins Blaue hinein, hier ein paar Gewächse, dort ein paar Tiere.
Mitunter macht er Entdeckungen, die den Fachleuten längst bekannt sind, wie etwa die chamäleonartige Fähigkeit des Tintenfisches, sich unterschiedlichen Untergründen farblich anzupassen. »Ein Kind mit einem neuen Spielzeug könnte nicht entzückter gewesen sein, als er in St. Jago war«, schreibt Kapitän FitzRoy an Admiral Beaufort in London. Darwin jubelt: Ich befinde mich häufig in der Lage des Esels zwischen zwei Bündeln von Heu - so viele schöne Tiere bringe ich im Allgemeinen mit nach Hause.
Doch schon bei diesen ersten tastenden Schritten leistet Darwin etwas Erstaunliches, weshalb ihn Verhaltensforschung und Ökologie heute gleichermaßen als einen ihrer Begründer feiern: Er beobachtet die Lebewesen nicht nur in Aufbau und
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