Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
und in seinen packenden, nach wie vor lesenswerten Schriften nacherzählt zu haben. Ohne ihn und sein Denken wäre aus Darwin niemals der Mann geworden, der die Biologie endgültig um die Dimension der Zeit erweiterte. So wie Humboldt in ihm den Entdeckergeist weckt, so wird Lyell zum geistigen Geburtshelfer des analytischen Denkers Darwin. Wie niemand vor ihm wird er die Welt über die Scheidelinie zwischen toter und lebendiger Materie hinweg als dynamisches System begreifen. Geologie
und Gradualismus geben seinen Vorstellungen von Raum und Zeit die richtigen Größenordnungen von Takt und Maß. Dabei gelingt dem jungen Mann gleich zu Beginn seiner Karriere ein Schritt von erstaunlicher Eigenständigkeit: Er macht sich Lyells Denkweise in der Geologie zu eigen, ohne dessen theologische Sichtweise der Biologie zu übernehmen.
Im festen Glauben an die Schöpfung lehnt Lyell wie die meisten Koryphäen seiner Zeit die Idee von der Veränderlichkeit der Arten ab, wie immer neue Fossilienfunde sie nahelegen könnten. Solch evolutionäres Gedankengut gilt ihnen als Teufelszeug. Es stellt das religiöse Fundament und damit Gottes Allmacht infrage, der alle Arten, wie sie auf der Erde zu finden sind und waren, einzeln erschaffen hat.
Darwin tritt seine Reise als angehender anglikanischer Geistlicher im tiefen Vertrauen auf den Kreationismus an, die biblisch verbriefte Schöpfungsgeschichte. Eines jedoch unterscheidet den so harmlos wirkenden, stets freundlichen Weltreisenden von der Mehrzahl seiner Alters- und Zeitgenossen und vor allem von Kapitän FitzRoy: Auf der Suche nach neuen, wissenschaftlich begründeten Wahrheiten ist ihm nichts heilig. Erst diese innere Freiheit erlaubt es ihm, alles in Frage zu stellen und schließlich auch das Wirken des Schöpfers in Zweifel zu ziehen.
Nur aus dieser Sicht lässt sich verstehen, dass Darwin gleich zu Beginn seiner Reise eine erste eigenständige Entdeckung gelingt, die für ihn zu einer Art Erweckungserlebnis wird. Damals dämmerte zum ersten Male der Gedanke in mir, dass ich vielleicht ein Buch über die Geologie der verschiedenen von uns besuchten Länder schreiben könnte, und das durchschauerte mich mit Entzücken . Der tollkühne Gedanke eines blutjungen Amateurs, der vor allem eines verrät: sein Streben nach dem großen Wurf.
Ein vollkommen horizontales weißes Band durchzieht etwa fünfzehn Meter über dem Meeresspiegel die Stirnseite der Steilküste um die Hauptstadt Praia. Es braucht keine besonderen Kenntnisse in Geologie, um diese helle Schicht auszumachen. Doch hinter dem Hafen und den wuchtigen Treibstofftanks, da, wo sie nicht unter der wachsenden Stadt und ihren Schutthalden verschwunden ist, verhindern Zäune den Zugang. Bleibt die kleine Insel Santa Monica in der Bucht von Praia, damals »Quail Island« genannt. Dort hatte die Beagle-Mannschaft ihre Zelte aufgeschlagen. Durch mein Fernglas kann ich die
Stelle deutlich erkennen, wo Darwin eine Skizze der Gesteinslagen mit dem weißen Band anfertigte und die erste echte Entdeckung seiner Reise machte. Da muss ich hin. Doch wie? Die Insel ist unbewohnt und offiziell nicht zu erreichen.
Im Hafen versuche ich mich auf Spanisch verständlich zu machen, aber die Fischer und Bootsbesitzer stellen sich taub. Ich biete ihnen fürstliche Beträge, und es besteht kein Zweifel, dass sie mich bestens verstehen. Doch je mehr ich auslobe, desto verstockter zeigen sie sich, als liege auf der Insel ein Fluch. Als befürchteten sie, ich könnte mit ihrer Hilfe etwas Unrechtmäßiges anstellen, wo bis vor nicht allzu langer Zeit Delinquenten gefangen gehalten worden sind. Die Ruinen stehen bis heute auf dem kahlen Eiland, dicke, größtenteils eingefallene Gefängnismauern mit, dem Rostfraß zum Trotz, kräftigen Gittern in den Fenstern.
Da mache ich das Gleiche, was Darwin in solchen Situationen tat: Ich nehme mir einen ortskundigen Führer und Übersetzer. Er heißt Aristide und erinnert mich an den Präsidenten Haitis mit gleichem Namen, dem die Amerikaner seinerzeit in sein rechtmäßig erlangtes Amt verholfen haben. Er sieht aus wie sechzehn, ist aber schon siebenundzwanzig. Sein kurz geschnittenes Haar ist ein Stück weit aus der Stirn gewichen, er hat helle Augen von irgendeinem portugiesischen Vorfahren, randlose Brille, dunkle Haut.
Mit Talent und Temperament gelingt es ihm, einen jungen Bootsbesitzer für meine Sache zu interessieren - und mir eine Lektion für den Rest meiner Reise zu erteilen: Die Wahrheit
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