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Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

Titel: Darwin - Das Abenteuer Des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juergen Neffe
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führt am wahrscheinlichsten ans Ziel. Mit Worten und Gesten lässt er den Mann teilhaben an Darwins Entdeckung, beschreibt ihm mein Projekt, für das ich eigens von Europa angereist bin, lässt es vor seinen Augen scheitern, wenn ich das weiße Band nicht aus der Nähe in Augenschein nehmen kann. Eine 50-Euro-Note, das Wochenverdienst eines Arbeiters, zerstreut schließlich letzte Bedenken. Der Mann nimmt das Geld, wirft seinen Außenbordmotor an und lädt ein paar Freunde ein, die durch Aristides Agitation neugierig geworden sind.
    Kurz vor der Insel hält er an. Näher könne er nicht heran. Sein Boot sei für den steinigen Strand nicht ausgelegt. Ich protestiere. Deutlich kann ich die Schichtungen erkennen, wie Darwin sie gezeichnet hat: blaues Wasser, grauer Fels, weißes Band, schwarze Lava. Darüber die
Ruinen des Gefängnisses. »Das wollten Sie doch sehen«, sagt er. »Ich muss auf die Insel«, entgegne ich, »das Gestein in Händen halten, untersuchen, fotografieren.« Ich halte dem Bootsmann Fernglas, Lupe und Kamera unter die Nase. »Soll ich damit etwa schwimmen?«
    Während mein Mut gerade zu sinken beginnt, weil die Burschen keine Anstalten machen, sich zu rühren, übersetzt Aristide meine Aufregung in einen beeindruckenden Wortschwall. Der Mann schaut abwechselnd ihn und mich mit großen Augen an. Irgendetwas muss ihn überzeugt haben. Er fährt noch ein Stück näher an den Strand, springt ins brusttiefe Wasser, winkt mich auf seinen Rücken, ich steige auf, halte meine Ausrüstung über den Kopf, und so gelange ich schließlich per Huckepack auf Darwins Insel.
    Am Strand muss ich mich über Bauschutt, wassergeglättete Baumstämme, verrostende Maschinenteile und die Gerippe havarierter Schiffe bis zu der Stelle vorarbeiten, wo Darwin gestanden haben könnte. Erst eine waghalsige Klettertour auf halbe Höhe der Steilküste führt endlich ans ersehnte Ziel. Bei näherer Untersuchung erkennt man, dass diese weiße Schicht aus kalkhaltiger Materie besteht, in der zahlreiche Muschelschalen eingelagert sind, von denen die meisten oder alle noch an der umliegenden Küste vorkommen.
    Ich berühre die bröckelige Masse, greife mir ein loses Stück heraus, zerbrösele es und lasse die Krümel durch meine Finger rinnen. Hier also ist es passiert, hier hat Darwin seine Initiation erlebt. Vor meinem inneren Auge gerät die Erde in Bewegung und spannt ihre geologische Raumzeit auf. Was ich in der Hand halte, war einmal Meeresgrund. Korallenstücke, Austernschalen, Gehäuse von Muscheln und Schnecken. Dann schiebt sich bei einem Vulkanausbruch flüssige Lava ins Wasser und legt sich auf die Schicht. Bis sich durch die Hitze die Masse an manchen Stellen in einen kristallinen Kalkstein umgewandelt hat. Da der Druck der Lava die Schicht aber erst wenig verfestigt hat und die eingelagerten Muschelarten bis heute nicht ausgestorben sind, schließt Darwin: Die Eruption liegt aus erdgeschichtlicher Sicht nicht weit zurück.
    Damit hat er alles beisammen. Mit Lyells Gradualismus der allmählichen Hebungen und Senkungen im Hinterkopf schließt er, durchaus mutig angesichts des Zeitgeistes und gemessen an seinen Erfahrungen, dass hier durch Kräfte aus dem Erdinnern eine ehemalige
Küstenlinie über den Meeresspiegel emporgehoben worden sein muss - und zwar so sanft und gleichmäßig, dass die Schicht fast ungebrochen parallel zur Küstenlinie verläuft. Die Brandung hat sie freigelegt, nun ist ihre Geschichte in der Steilküste zu lesen wie in einem offenen Buch.
    Eigenständig beschreibt und erklärt Darwin die bis dahin unbekannte Geologie eines Stückes unserer Erde und stellt eine Hypothese auf. Damit unternimmt er seinen ersten entscheidenden Schritt in die Welt der Wissenschaft. In der Logik der Erdgeschichte fängt er bei den Steinen an. Es ist der Beginn eines Weges, der ihn am Ende der Reise stolz erklären lässt: Ich, ein Geologe .
     
    Am nächsten Tag hat Aristide einen Freund mitgebracht, den er seinen »Schüler« nennt. Der ist tatsächlich erst sechzehn, wirkt aber wie dreizehn, ein kurz gewachsenes Kerlchen mit O-Beinen, schiefem Mund und so viel Verstand, dass es mir immer wieder die Sprache verschlägt. Der Junge heißt Sydney, und dass er mir heute noch so lebendig vor Augen steht wie sonst kaum jemand während der Reise, hat mit der Art seiner Fragen zu tun, die bei meinen Vorlieben im deutschen Fußball beginnen und bis in die Tiefen des Darwinismus reichen.
    Ich lege den beiden Darwins Berichte

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