Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
den kranken Darwin statt. Durch Abwesenheit zu glänzen wird immer mehr zu seinem Markenzeichen. Auch als er kurze Zeit später berühmt wird, lässt er andere seine Thesen verteidigen und hält sich im Hintergrund. Ein Film über Darwin könnte keine große Feierstunde präsentieren, mit stehenden Ovationen für den Abenteurer des Lebens. Die anwesenden Mitglieder der Linné-Gesellschaft nehmen die Vorträge ohne Kommentar zu Kenntnis. Der radikal neue Inhalt entgeht ihnen anscheinend völlig. Und der Präsident gibt auch noch zu Protokoll, das vergangene Jahr sei nicht »durch eine jener bahnbrechenden Entdeckungen gekennzeichnet gewesen, die unser Fachgebiet auf einen Schlag sozusagen revolutionieren«.
Darwins Priorität ist gesichert. Das Datum seines Essays zeigt eindeutig, dass er lange vor Wallace die natürliche Auslese entdeckt hat.
Wallaces nachgereichte Zustimmung trifft ein halbes Jahr später ein. Stolz, gemeinsam mit Darwin seinen Artikel veröffentlicht zu haben, zeigt er sich großmütig. Er beklagt nicht einmal, dass ihm seine Priorität nun genommen worden ist. Hätte er seinen Brief nicht an Darwin und Lyell geschickt, sondern den Artikel anderswo publiziert, stünde ihm das Vorrecht der Erstveröffentlichung für immer zu.
Darwin setzt sich hin und schreibt nun nach der Skizze von 1842 und dem Essay von 1844 ein »Resümee«. Nachdem er versichert hat, dass ich keine Diskussion über die Schöpfergeschichte usw. usf. hereinnehme, findet er durch Lyells Vermittlung in John Murray den idealen Verleger. Der nimmt das Manuskript an, ohne eine Zeile gelesen zu haben. Nur der Titel in seiner wissenschaftlichen Sperrigkeit behagt ihm nicht: Resümee eines Essays über die Entstehung der Arten und Varietäten durch natürliche Auslese. Die letzten Fahnenkorrekturen erledigt Darwin unter wiederholten Brechanfällen. Dann fährt er nach Moor Park zur Kur. Die Familie kommt kurze Zeit später nach.
Am 2. November gibt Murray das erste Exemplar in die Post. Im Kurort hält Darwin sein Kind in der Hand. Am 22. ist es dann endlich so weit: »Origin of Species«, wie das Werk in Kürze nur noch heißen wird, erreicht die Buchhändler. Nun kann die ganze Welt lesen, was der Enkel von Erasmus Darwin in mehr als zwei Jahrzehnten ausgebrütet hat. Um der Geschichte Genüge zu tun und endgültig sein Vorrecht zu sichern, klärt er seine Leser genau über den Werdegang auf. Alles soll seine Richtigkeit haben, um Licht zu werfen auf die Entstehung der Arten, das Geheimnis aller Geheimnisse. Auch Wallace wird gewürdigt. Von nun an jedoch wird er in Darwins Schatten stehen.
Ein ganz und gar außergewöhnliches Buch. Nie zuvor und nie seither hat ein Autor einen wissenschaftlichen Durchbruch von derartiger Tragweite in einer solchen Weise präsentiert. Darwin schreibt »ich«. Er spricht seine Leser direkt an. Er erzählt ihnen Geschichten, die sich zu einem großen Panorama zusammenfügen. Er entschuldigt sich für Versäumnisse. Er nimmt Widersprüche vorweg. Er verweist auf sein künftiges Werk. Und das alles in einer Prosa, der jeder mittelmäßig Gebildete problemlos folgen kann: spannend, lehrreich und aufwühlend. Bei allen Mängeln, die er wieder und wieder beklagt, ein schriftstellerisches Meisterwerk.
Das erste Kapitel befasst sich ausführlich mit der Zucht. Seite um Seite führt er Beispiele an, die Leser erfahren alles Wissenswerte über Taubenzucht, und sogar die Recherchemethoden bleiben ihnen nicht verborgen … habe ich mich mit zwei ausgezeichneten Taubenzüchtern in Verbindung gesetzt und bin Mitglied eines Taubenklubs geworden.
Im zweiten Kapitel nimmt er sich die Abänderungen im Naturzustande vor und äußert sich über geografische Ähnlichkeiten. Vor Jahren, als ich die Vögel der einzelnen Inseln der Galápagosgruppe miteinander und mit denen des amerikanischen Kontinents verglich …
Im dritten Kapitel geht es dann ums Ganze: Der Kampf ums Dasein. Er teilt mit seinen Lesern die Quellen seiner Gedanken. Das ist die Lehre von Malthus mit verstärkter Kraft auf das ganze Tier- und Pflanzenreich angewendet. Er rechnet ihnen vor, dass eine grenzenlose Vermehrung biologisch unmöglich ist. Selbst der sich langsam vermehrende Mensch verdoppelt in fünfundzwanzig Jahren seine Kopfzahl; wenn also alle Kinder heranwüchsen, würde seine Nachkommenschaft nach kaum einem Jahrtausend buchstäblich keinen Platz zum Stehen mehr finden.
Im vierten Kapitel ist er am Ziel: Natürliche Auslese .
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