Darwin - Das Abenteuer Des Lebens

gestellt. Seine Gegner kämpfen nicht mit den gleichen Waffen. Er setzt Wissenschaft gegen Mythologie, Naturgesetz gegen Wundertat und stellt ein blind wirkendes Gesetz gegen die Erschaffung der Welt. Zufall statt Vorsehung, die Schöpferkraft des Todes begründet die Dialektik des Daseins. Aus dem Kampf der Natur, aus Hunger und Tod geht also unmittelbar das Höchste hervor, das wir uns vorstellen können: die Erzeugung immer höherer und vollkommenerer Wesen.
    Auf der modernen Beagle fahren zwei frisch Verheiratete aus Ohio mit, er Chirurg, sie Expertin für Haustierernährung. Nicht die typischen »Viel Lärm um nichts«-Amerikaner, sondern reisefreudige Leute mit Hochschulbildung, für die Darwin und das Survival of the fittest zusammengehören - wobei sie selber im Gespräch mit anderen das Überleben des Lautesten demonstrieren. Die übergewichtige Fachfrau für Katzen- und Hundediäten hat im Schulunterricht von der Evolutionslehre gehört - im Vergleich mit der Bibel. »Das ist nur eine Theorie.« - »Was heißt hier ›nur‹?« - »Die Geschichte von der Schöpfung ist plausibler.« - »Aber sie ist keine Theorie.« - »Das meine ich ja: Sie ist wahr.« So einfach funktioniert Kreationismus.
    Indem Darwin den Menschen als Krone der Schöpfung entzaubert, fügt er seiner Art die zweite Kränkung durch die Wissenschaft zu. Das verleiht ihm das Format eines Kopernikus. Dieser erste Kränker hat den Menschen auf seiner Erde zum Nichts im All erklärt. Darwin macht ihn zum bewussten Tier, das die Einsamkeit des Ichs zu spüren bekommt und sich mit Leib und Seele ans irdische Dasein klammert. Nur der Glaube kann ihm helfen, der Schöpfer nicht. Dessen Allmacht
hat sich mit Festlegung der Naturgesetze im ersten Hauch »erschöpft«.
    Es liegt eine Größe in dieser Sicht des Lebens, mit seinen vielfältigen Kräften, die nur wenigen oder nur einer einzigen Form eingehaucht worden sind; und dass, während sich dieser Planet nach den festen Gesetzen der Schwerkraft weiter und weiter im Kreise bewegt, aus einem so schlichten Anfang eine unendliche Zahl der schönsten und wunderbarsten Formen entstand und noch weiter entsteht.
    So endet das Jahrhundertbuch. Es beginnt mit den Worten: Als ich mich als Naturforscher an Bord der »Beagle« befand. Das letzte Wort im englischen Original heißt evolved . Darwin spricht zum ersten Mal von Evolution.

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    Osterinsel

    Die Entdeckung von Rapa Nui · Der Steinbruch von Rano Raraku · Zusammenbruch der Kultur · Wanderung über die Insel · Zwischen Zufall und Notwendigkeit · Der Heimkehrinstinkt des Lebens · Brücke zwischen Religion und Evolution · Das Prinzip Konvergenz · Die Vogelmannkultur · Unsere kleine Insel im All
     
     
    Nach fünf Stunden Flug über offene See endlich Gewissheit: Sie ist allein. Mein Leben lang habe ich »Osterinseln« gesagt, in der Mehrzahl, so wie Cook- oder Gesellschaftsinseln. Doch es gibt nur eine, kleine, einsam im Pazifik wie die Erde in den Weiten des Alls. Kein Nachbar in weiter Flut, über 3700 Kilometer bis zum südamerikanischen Kontinent, 2100 nach Pitcairn, dem nächsten kleinen Eiland im Westen.
    Wäre ich bei meinen Recherchen in England nicht Simon Conway Morris über den Weg gelaufen, einem wissenschaftlichen Enkel Darwins, dann hätte ich meinen Weg von Santiago de Chile nach Tahiti wohl kaum auf Rapa Nui unterbrochen. So nennen die Bewohner sich und ihr Stück Erde, das Darwin nie betreten hat. Doch als der Paläobiologe an der Universität Cambridge mir die Entdeckung der einsamen Insel durch polynesische Seefahrer zum Sinnbild für eine neue Sicht auf die Evolution erklärt, hat er mich überzeugt: Wäre ein Darwin heute unterwegs, würde er sich diesen Zwischenstopp nicht entgehen lassen.
    In seiner Zeit hätte Darwin das vielleicht einzige noch aufrechte Exemplar der mysteriösen Steinstatuen bestaunen können. 1838 wurde der letzte »Moai« stehend gesehen. Er wäre dem Völkchen der Osterinsulaner begegnet, damals noch etwa dreitausend, deren Vorfahren die Kolosse errichtet haben. Kapitän Cook beschrieb die Insulaner schon 1774 als »klein, mager, ängstlich und elend«. Wie jeder Besucher
hätte Darwin erkannt, dass hier etwas Furchtbares geschehen sein muss, ein kultureller Kollaps von ergreifender Symbolkraft. Aber wie und warum?
    Wie sind die Menschen überhaupt hierhergekommen? Was hat sie veranlasst, die monströsen Monumente aus dem Fels zu meißeln? Wie haben sie die tonnenschweren Teile bewegt, wie