Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
vor, sie führen mich auf seinen Wegen über ihre Insel. Wir wandern durch das staubtrockene Land von der Küste aus in die Berge, vorbei an einer Schnapsbrennerei inmitten der Nachschub liefernden Zuckerrohrfelder, kommen an kleinen Gehöften vorbei, wo Frauen sich an Waschbrettern abrackern und ihre Kinder bei unserem Erscheinen sofort in die dunkle Hütte schicken, damit sie uns Früchte und Wasser bringen. Von Praia nähern wir uns dem Flag Staff Hill. Wir überquerten eine ausgedehnte Ebene von Tafelland. Auf dem ganzen Abschnitt gab es kaum ein grünes Blatt. Stattdessen Millionen bunter und an jedem verdörrten Zweig im elenden Passat flatternde Plastikfetzen in einem müllübersäten Schuttfeld zwischen Flughafen und Gewerbegebiet.
Endlich gelangen wir an einen Ort, der nahe dem Mittelpunkt der Insel gelegen war und noch halbwegs Darwins Beschreibungen entspricht. Die Szenerie von St. Domingo ist, anders als das überwiegend düstere Gepräge der Insel, von einer gänzlich unerwarteten Schönheit. Das Städtchen liegt
wie eine Oase in einer Talsohle und ist umgrenzt von hohen, zerklüfteten Wänden geschichteter Lava . Bei der Kirche, die schon zu Darwins Zeiten über der Ortschaft thront, klopfe ich so lange an die schwere Tür der Pfarrei, bis ein verknittertes Mütterchen erscheint. Sie erklärt uns, der Pfarrer halte gerade seinen Mittagsschlaf und wünsche nicht gestört zu werden.
Nichts ist unmöglich, bevor man es versucht hat. Auch eine Regel für Reisende. Ich erläutere ihr mein Anliegen mit Aristides Hilfe, so, wie er es vorher mit dem Fischer am Hafen getan hat. Er spricht leise, ich aber so laut, dass der Geistliche, sollte er wach sein, drinnen versteht, was hier draußen vor sich geht. Tatsächlich taucht hinter der Haushälterin schließlich eine nicht ganz bis oben zugeknöpfte Soutane auf. Der Pfarrer, ein leicht gebeugter, europäischstämmiger Mann jenseits der achtzig, dem die schwere Brille von der Nase rutscht, spricht Englisch. Er hat die Stichworte vernommen und will nicht glauben, dass Darwin damals »seine« Kirche aufgesucht hat.
Ehrlich gesagt habe er nicht einmal gewusst, dass der junge Weltreisende den Kapverden einen Besuch abgestattet hat. Damit steht der Geistliche nicht allein. Niemand, nicht einmal die Mitarbeiter im Archiv unten am Hafen, scheint je davon gehört zu haben, dass Anfang 1832 ein bedeutender Reisender seinen Fuß auf ihre Insel gesetzt hat. Der Pfarrer schließt seinen obersten Knopf und erklärt, dass seine Kirche mit Darwin im Reinen sei. Schon Pius XII. habe 1950 den Willen des Vatikans bekundet, die Möglichkeit einer Evolution des menschlichen Körpers ins Auge zu fassen, und Johannes Paul II. habe 1996 mit ausdrücklichem Hinweis auf die nach wie vor bestehenden Zweifel seines Vorgängers verkündet, dass die Evolutionstheorie mehr als eine Hypothese sei.
»Und, Vater, was bedeutet das für Sie?« Lange sieht er mich an, dann den hochgewachsenen Aristide, endlich auch den kleinen Sydney, der das Ganze mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt, bis seine Augen meine wiedergefunden haben. »Der Mensch«, sagt er endlich, »ist ein seltsames Tier.« Und nun gedenke er, seinen Mittagsschlaf fortzusetzen.
Darwin und sein Begleiter haben sich auf dem Weg verirrt und sind nach Fuentes geraten. Wir nehmen das Sträßchen zu dem Dorf, das vollkommen ungeschützt dem heißen, beißenden Wind ausgeliefert
ist. Einsam neigen sich zwergwüchsige Akazien gegen den kargen Boden. Ihre Spitzen waren von dem steten Passat auf eigentümliche Weise gebeugt worden - einige sogar im rechten Winkel zum Stamm.
Unsere Ankunft bleibt nicht lange unbemerkt. Schon springen Kinder um uns herum, dann erscheint vor seinem Haus der Dorfvorsteher Adriano. Den Namen Darwin habe er noch nie gehört, aber das Wort Evolution, damit könne er etwas anfangen. Was der damalige Besucher seines Dorfes genau gesagt habe, will der Sechsunddreißigjährige wissen. »Alle Lebewesen haben die gleiche Abstammung«, antworte ich, »wir sind alle miteinander verwandt, am nächsten mit den Affen …« Er lacht und zeigt eine Reihe blendend weißer Zähne. »Ach, diese Geschichte. Ich glaube auch an Evolution. Die Menschen entwickeln sich immer weiter, so wie die Spieler in einem Spiel immer besser werden. Aber das Spiel verändert sich nicht. Ich denke nicht, dass wir vom Affen abstammen.« - »Was wäre daran so schlimm?« - »Das hat Gott nicht gewollt. Wir sind wie er, er ist wie wir, aber nicht
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