Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
halten mildere Bedingungen für wahrscheinlich und bauen etwa auf die Eigenschaften poröser Steine: In deren Hohlräumen könnten sich Moleküle nicht nur verankert, sondern durch katalytische Eigenschaften auch vermehrt und im Inneren angereichert haben. Wieder andere vermuten den »Kreißsaal des Lebens« in gefrorenem Meerwasser, das von winzigen Kammern und Kanälen durchzogen ist. Die Synthese großer Biomoleküle, so argumentieren sie, verlaufe in der Kälte sehr viel geordneter und störungsfreier ab als bei höheren Temperaturen.
Ein Kubikmeter Meereis, haben Wissenschaftler hochgerechnet, enthält eine Billiarde zellähnliche Kämmerchen. Bei Experimenten in »künstlichen Eisreaktoren« treten tatsächlich sehr komplexe Verbindungen und lange Molekülketten auf. Wenn die dann zusammenfinden, können sie unter Umständen höhere Einheiten bilden. So selten das auch passiert, so unwahrscheinlich und zufällig es auch erscheint - bei der astronomischen Zahl an Möglichkeiten und den Millionen Jahren an Zeit wird aus dem schier Unmöglichen das Wahrscheinliche.
Wo immer man hinschaut: Es gilt das Prinzip der Großen Zahl. Wer hundertmal würfelt, hat fast sicher eine Sechs dabei. So hat auch das Leben durch schiere Menge den Zufall gezähmt. Das erklärt natürlich nicht, wie der Urknall des Lebens sich vollzogen hat. Niemand kennt darauf bis heute eine schlüssige Antwort. Darwin schreibt in der »Entstehung der Arten«, wenn auch nur, um seine Gegner zu besänftigen und den Vorwurf der Ketzerei von sich abzuwenden , dass der Schöpfer den Keim allen Lebens, das uns umgibt, nur wenigen oder gar nur einer einzigen Form eingehaucht hat . Das aber sage nichts gegen seine Theorie der gemeinsamen Abstammung, nachdem das Leben erst entstanden sei. Es ist kein begründeter Einwurf: die Wissenschaft habe bisher kein Licht auf das viel höhere Problem vom Wesen oder Ursprung des Lebens
verbreitet. Wer kennt denn das Wesen der Anziehungskraft oder der Schwerkraft?
Physikalische Chemiker haben »Hyperzyklen« und »dissipative Strukturen« in die Diskussion eingebracht, nach denen sich unter gewissen Umständen aus chaotischen Zuständen stabile chemische Formationen bilden können, vergleichbar der Wolkenspirale beim Wirbelsturm. Vor wenigen Jahren haben Wissenschaftler auch geeignete molekulare Kandidaten entdeckt, mit denen weitere Voraussetzungen für Leben erfüllt wären: Stoffwechsel, Selbstreproduktion und Veränderbarkeit der Fortpflanzungseinheiten (= Gene).
Ribonukleinsäuren (RNA), lange Zeit vor allem als Träger von Erbsubstanz im Gespräch, können auch als Katalysatoren fungieren, also spezifisch chemische Reaktionen beschleunigen. Seither beherrscht die Idee einer »RNA-Welt« die Spekulationen. Danach entwickelte sich das Ur-Leben mit allen nötigen Bestandteilen zunächst auf Basis von RNA-Molekülen mit unterschiedlichen Funktionen - als Datenspeicher, Erbsubstanz und als Betreiber des Stoffwechsels. Eiweiße, heute die wesentlichen Funktionseinheiten des Lebens, wären demnach erst in einer zweiten Stufe entstanden.
So lässt sich die Entstehung des Lebens zwar besser verstehen, wie Schwerkraft und Trägheit mit Newtons Gesetzen, aber nicht wirklich erklären. Seine scheinbare Zielgerichtetheit - Philosophen sprechen von Intentionalität - und sein Streben nach höherer Komplexität bleiben weiterhin sein großes Geheimnis. Der französische Philosoph Henri Bergson hat für den unheimlichen Lebenswillen das Wort vom »élan vital« geprägt - das philosophische Gegenstück zur naturalistischen »vis vitalis«, die das Leben am Leben erhält, aber nicht vorantreibt. Bergsons Lebensdrang, diese Gier nach Existenz und Fortschritt, die das Leben vom ersten Moment an besessen haben muss, geht aber erst aus der Gemeinschaft der Teile vor. Jedes einzelne hat sie nicht.
Wer lange aufs Wasser blickt, das keine Ruhe kennt, könnte meinen, es habe dem Leben erst Beine gemacht. Im Wasser entstanden, von Wasser durchströmt, ans Wasser gekettet. Leben ohne Bewegung ist wie Musik ohne Töne. »Panta rhei«, sagt Heraklit, alles fließt. Er meint das Leben, aber er hätte auch vom Wasser sprechen können.
Als wir Mar del Plata erreichen, leuchtet wieder so ein Morgenhimmel,
wie Turner ihn eindringlicher nicht hätte malen können. Eine tieforange flammende Wand. Ich räume meine Kabine, steuerbord Raum 408, Deck 3, auf der Aliança Pampas und verabschiede mich von den Kameraden. Vor mir liegt die Pampa. Vor
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