Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
professionelle Unterwasserarchäologen das Wrack. Allein aus der Offiziersmesse haben sie eine erstaunliche Sammlung von bestens erhaltenen Fundstücken zutage gefördert. Teile von Möbelstücken, Werkzeuge und Besteck, chinesisches Porzellan, geschliffene Gläser, wie neu, verschlossene Flaschen mit Inhalt, der bis heute wie Rum riecht. Und ein Pinguin-Ei. Die Mannschaft der Swift hat sich demnach ihre schmale Kost mit lokalen Leckerbissen aufgebessert.
Die sichere Versorgung mit genießbarem Essen und Wasser gehört auf einem Schiff zu den obersten Prioritäten. Ausgeklügelte Organisation und Logistik sind gefragt. Allein, was die mehr als siebzig arbeitenden und entsprechend ausgehungerten Männer auf der Beagle am Tag vertilgen, geschweige denn in einem Monat, addiert sich schnell zu Tonnagen an Fleisch, Kartoffeln oder Getreide. Und das ohne Kühltechnik. Ein ganzes Jahr lang kann sich eine Mannschaft notfalls selbst versorgen. Mein Herz schwelgte in Freude, als die Befehle zu hören waren, für unseren nächsten Ausflug Proviant für 12 Monate an Bord zu nehmen.
Da kommt jede Frischware gerade recht. Sobald sie an Land sind, gehen Darwin und seine Gefährten auf die Jagd: Guanakos, Nandus, Gürteltiere. Wo möglich, wird frisches Wasser gebunkert. Gelegentlich
öffnet auch die See ihre Speisekammer. Der Boden war felsig, und folglich gab es Mengen an Fisch; fast jeder Mann auf dem Schiff hatte eine Angelleine über Bord, und in kurzer Zeit wurde eine überraschende Zahl feiner Fische gefangen. Material für die Köche Davis und Phillips, der eine versorgt die Offiziere, der andere die Mannschaft.
Auf der Aliança kocht Mario Paguirigan für achtzehn Mann Besatzung und einen Gast. Er kann alles, russisch, ukrainisch, italienisch, deutsch, kräftige Hausmannskost für die Offiziersmesse, wo mich die Seeleute aus sowjetisch geprägter Schule in ihre Sitzordnung eingefügt haben. Dank Kühl- und Gefrierkammern gibt es neben Brot, Kartoffeln, Reis, Eiern, Fisch und Fleisch täglich frisches Gemüse, Salat, Obst und Süßspeisen. Dreimal am Tag bitten Koch und Kellner zu Tisch. Dort wird nicht nur gespeist, sondern auch geplaudert. Keiner weiß daher mehr über die Stimmungen und Schwierigkeiten an Bord als der Koch. Es heißt nicht ohne Grund »Küchenpsychologie« und »Gerüchteküche«. Man sollte eine Elegie auf die Schiffsköche verfassen und ihren Anteil an der Eroberung der Welt. Jedenfalls muss es einen Grund geben, warum ausgerechnet sie in den frühen Tagen der »christlichen« Seefahrt die höchste Überlebensrate an Bord hatten. Vermutlich mussten sie am wenigsten kämpfen und gefährliche Arbeiten verrichten. Und sie saßen an der Quelle.
Bei einem Frachtschiff fallen die Vorräte buchstäblich nicht ins Gewicht. Selbst die 1400 Tonnen Treibstoff zählen kaum im Vergleich zur Ladung. Ein ausgeklügeltes Ballastsystem hält die Aliança aufrecht und drückt sie ausreichend tief ins Wasser. Dafür ist Valerij Grynko zuständig, der Zweite Offizier. Das erledigt er bequem am Computer im technischen Kommandozentrum auf dem Achterdeck. Ohne dieses Trimmen, sagt er, könnte das Schiff auseinanderbrechen.
Irgendwann habe ich sie alle durch, die achtzehn von der Aliança. Den Elektriker, ein russischer Yuriy, der das ruhige Wetter nutzt, um draußen Glühbirnen auszutauschen. Marcelo, den philippinischen Bootsmann, der bei Manövern nach den Befehlen des Diensthabenden auf der Brücke wortlos das Ruder führt. Seinen Landsmann Manuelito, den Schlosser, der zusammen mit dem Zweiten Ingenieur, noch ein ukrainischer Yurii, im Maschinenraum Kolbenringe tauscht. Dessen Landsmann Danyl Zhytnyk, Chefingenieur, der stolz erklärt, im
Prinzip könne so ein Schiff während seiner fünfundzwanzigjährigen Lebenszeit ohne Pause fahren.
Und neben all den anderen natürlich den Kapitän, der mir in gebrochenem Englisch den Unterschied zwischen Evolution und Revolution auseinanderlegt. »Entwicklung von Schiff, das ist Evolution. Entwicklung von Container, das war Revolution. In einer Generation auf ganzer Welt. Heute über neunzig Prozent von Fracht. Aber kein Volk kann zwei Revolutionen in einem Jahrhundert aushalten.« Sein Kapitänspatent trägt einen sowjetischen Stempel.
Nur der Dritte Offizier macht sich rar, nachdem er mir seine Konflikte gestanden hat. Er grüßt freundlich und redet dienstlich, wenn wir einander begegnen. Vielleicht bereut er, mich eingeweiht zu haben, vielleicht hat es ihm geholfen.
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