Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Beim Ablegen in Puerto Deseado haben er und Kapitän Khokhlov wie ein altbewährtes Team zusammengearbeitet. Wir fahren die gleiche Strecke wieder zurück über Mar del Plata nach Montevideo, diesmal mit vollen Containern. Die Beagle ist etliche Male vor dieser Küste gekreuzt. Dieses eine Mal will ich ihrem Zickzackkurs folgen, bis Mar del Plata an Bord bleiben und mich dann auf Darwins Spuren über Land durch die Pampa bis Buenos Aires durchschlagen.
Dadurch bleiben mir noch ein paar Tage länger, um jenen Hauch von Heimatgefühl zu verspüren, den Darwin während rund vierzig Prozent seiner fünf Jahre genießen durfte: gemeinsame Mahlzeiten, eine gewisse Vertrautheit, Gespräche, die über das schnell Gesagte hinausgehen. Reisende brauchen Ruheinseln. Ich kann mir kaum eine bessere wünschen, als der einzige Gast auf einem Containerschiff zu sein. So ähnlich muss es auch Darwin ergangen sein, wenn er nicht gerade seekrank war - frei von allen nautischen Verpflichtungen auf einer schwimmenden Insel über die Meere der Welt zu segeln.
Auf bewegtes Wasser starren wie in ein Feuer. Zu allen Seiten Horizont. Fahren ohne Hindernis. Den Gedanken freien Lauf lassen. Die alte Sucht der Seeleute, die an Land Entzugserscheinungen bekommen. Das meinen sie mit der Freiheit der Meere. Diese unsagbare Grenzenlosigkeit, und die Zeit rinnt durch ein Stundenglas. Aber es bedeutet ihnen beides, das Meer - Freiheit und Gefangenschaft. Es trägt sie um die Welt und hält sie eingesperrt auf diesem Pott. Ohne das eine nicht das andere. Darwin kann dem feuchten Element nicht
viel abgewinnen. Und was ist die gerühmte Herrlichkeit des grenzenlosen Ozeans? Eine öde Verschwendung, eine Wasserwüste, wie der Araber ihn nennt.
Als Evolutionsbiologe würde Darwin das mit der Wüste heute wohl so nicht mehr unterschreiben. Mit den feinen Methoden der Gentechnik können Wissenschafter inzwischen ungleich spezifischer nach Leben suchen als noch vor wenigen Jahren. Kürzlich haben Meeresbiologen eine komplett neue Gruppe von winzigen einzelligen Lebewesen mit Zellkern aufgespürt. Damit haben sie einen neuen, ziemlich dicken Ast am Baum des Lebens entdeckt: Die »Picobiliphyta« getauften Wesen werden - wie manche andere Gruppen - gleichberechtigt neben den Tieren, den grünen Pflanzen und den Pilzen in die Systematik des Lebens eingeordnet. Sie können das Licht der Sonne nutzen und kommen weltweit vor, vor allem in den nährstoffarmen Küstengewässern der großen Ozeane. Ansonsten ist nur wenig über ihre Biologie bekannt. Über Nacht ist ein neues Forschungsgebiet geboren worden.
Die Vielfalt maritimen (und unterirdischen) Mikrolebens könnte die bislang bekannte weit in den Schatten stellen. Mittlerweile haben auch private »Gen-Jäger« das Potenzial der Meere erkannt und begonnen, diesen ungehobenen Schatz an evolutionären Entwicklungen zu heben. Lass einen Eimer zu Wasser, und du findest ein Stück vom bunten Zoo der Mikrowelt - so wie Darwin bei seinen Fängen immer wieder neue Arten von Meeresbewohnern zutage fördert.
Besonders eignen sich molekulare Angeln dazu, nach Viren zu fischen. Wo immer die Forscher suchen, in übersäuerten heißen Tümpeln, arktischen Seen oder im offenen Ozean - fast jeder Fang bringt neue Arten, manchmal sogar ungekannte Gruppen ans Licht. Und zwar oft in riesigen Mengen und großer Vielfalt, selbst tief in der Barentssee noch sechzigtausend in einem Milliliter.
Sogar Sedimentgesteine können Mikroorganismen beherbergen - in den ersten Zentimetern unterm Meeresboden bis zu einer Milliarde pro Kubikzentimeter. Sogar 1600 Meter tief im Grund haben britische Forscher, wie sie im Juni 2008 berichteten, Mikroben nachgewiesen, die bis zu 900 Grad Celsius aushalten.
Darwin hat sich in seinem Werk zu den Mikrowesen, deren Entstehung
und Lebensweise damals noch im Dunkeln lag, nicht geäußert. Viren konnte er noch nicht kennen. Erst Ende des 19. Jahrhunderts wird das Tabakmosaikvirus entdeckt, anfangs allerdings für flüssig oder gelöst gehalten. Eine elektronenmikroskopische Abbildung gelingt schließlich 1939. Damit ist klar: Auch Viren sind winzige Partikel. Da sie aber keinen eigenen Stoffwechsel besitzen und sogar quasi tot in kristalliner Form »überleben« können, siedeln manche Biologen sie im Grenzbereich zwischen lebendiger und toter Materie an. Sie brauchen Leben, um zu leben. Sobald sie eine Zelle befallen, erwachen sie aus ihrem Schlafzustand - wie Sporen oder Samen. Aber sie alle
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