Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Darwin nur aus Büchern kennt.
In Punta Alta versuche ich, Darwins Küste ausfindig zu machen. Doch sonntags in so einer kirchentreuen Stadt anzukommen ist, wie in ein Kino zu gehen, in dem kein Film läuft. Die Straßen leer, die Geschäfte verschlossen, kaum eine Menschenseele unterwegs. Der Wind weht Papier- und Plastikfetzen wie herbstliche Blätter durch die Gassen. Das »Städtische Museum der Naturwissenschaften« trägt seinen Namen, spanisch eingefärbt: Carlos Darwin. Hier müsste doch jemand zu finden sein, der Bescheid weiß. Neben dem verschlossenen Tor links ein Graffito, schwarz auf weiß: Carlos Darwin Puto, was ich frei mit »Hurensohn« übersetze. Auf der anderen Seite ein Schild mit den Öffnungszeiten, darunter eine Telefonnummer. Ich wähle, eine Frau hebt ab. Kaum ist meine Frage heraus, sagt sie: »Besuchen Sie uns morgen früh. Ich reserviere Ihnen den ganzen Tag.«
Teresa Manera kommt, lange bevor ihr Museum seine Pforten öffnet. Die Paläontologin und Professorin an der Universität im nahen Bahía Blanca hat sich als Spurenleserin auf versteinerte Fußabdrücke spezialisiert. Den Ort am Strand nahe dem heutigen Ferienort Pehuén-Co, wo Darwin erstmals auf Knochen und Zähne stieß, würde sie im Schlaf finden. Unter der fein geschichteten Steilküste, vom Meer durch eine Sandbank getrennt, erstreckt sich ein beinahe topfebener, mit Mulden übersäter Sandsteinfels. »Genau hier hat er gestanden«, sagt sie, als ihr Jeep nach langer Holperfahrt über den Strand endlich zum Stehen kommt. Sie zeigt auf eine Stelle, wo sich die Küste zu einer kleinen Höhe aufschwingt. »Die Beagle lag damals
da draußen. FitzRoy hat den einzigen erhöhten Punkt mit dem bezeichnenden Namen Starvation Point als Landmarke erkannt.«
Hätte der Strand an diesem »Hungerpunkt« damals so ausgesehen wie heute, dann wäre womöglich schon Darwin jene Entdeckung geglückt, die der Forscherin gut hundertfünfzig Jahre nach seinem Besuch gelingt. »Die Küste sieht noch in etwa so aus wie zu Darwins Zeiten«, sagt die Spurenleserin. »Allerdings hat er ihre Lage höher beschrieben. Vermutlich lag die Küstenlinie weiter draußen, und während seines Besuchs gab es viel mehr Sand.« Im Jahr 1986 hat das Meer besonders viel Sand weggespült und größere Stücke flacher Felsen freigelegt. Eines Tages findet Manera tief in den Stein gedrückt zwölftausend Jahre alte, fossilisierte Fußspuren genau jener Tiere, deren Überbleibsel Darwin nach England verschiffen ließ. Die Abdrücke sind gewaltig. Beim erwachsenen Megatherium, einem Riesenfaultier, messen sie in der Länge fast einen Meter.
Als sie auf Darwins Spuren die Fußabdrücke seiner wichtigsten Fossilien erblickt, hat Teresa Manera ihr Lebensprojekt gefunden. Im Lauf der Jahre spürt sie weitere Fußabdrücke ausgestorbener Giganten wie die des elefantenähnlichen Mastodon, des Riesengürteltiers Glyptodon und des tapirartigen Macrauchenia auf - dessen Skelett Darwin später in Patagonien als erster Forscher bergen wird. Aber auch vorzeitliche Spuren von Säugetieren, die heute noch leben - Puma und Guanako, Hirsch- und Fuchsartige -, und von Vögeln wie Schwarzhalsgans, Flamingo und Nandu. Die Tiere haben ihre Füße in den Uferschlamm einer Wasserstelle gedrückt. Der eigentliche Strand lag damals hundert Kilometer weiter draußen.
Mit der zweiundsechzigjährigen »Pfad-Finderin« durch ihr Revier zu streifen und die Tiere in ihrem prähistorischen Freiluftzoo Gestalt annehmen zu lassen, das ist wie Daumenkino für die Fantasie, besser als jeder »Jurassic Park«. Da erwachen die Spuren zum Leben. Die einen stolzieren, die anderen watscheln oder hüpfen, wieder andere rennen oder tragen ihren schweren Leib im gemächlichen Gang übers Land.
Teresa Manera hat ihrer Entdeckung eine Art Arche errichtet, das Museo Carlos Darwin. Um die Spuren buchstäblich zu sichern, hat die Forscherin sie gemeinsam mit Mitarbeitern und Volontären mit Latex und Polyurethan ausgegossen und, als Abdrücke der Abdrücke, in die Sicherheit ihres Museums gebracht. Die Welt kennt kaum ein beeindruckenderes
Zeugnis vom Miteinander noch lebender und ausgestorbener Tiere. Manera weiß, wie vergänglich ihr Schatz ist. Vor allem im Sommer fahren immer wieder Einheimische und Touristen mit Geländewagen zwischen den Ferienressorts hin und her. Andere kommen in wachsender Zahl mit ihren Autos an den Strand, um zu angeln. Im März 2006 wurde der größte aller Abdrücke durch
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