Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Ein paar Tausend Jahre haben Jäger und Beute noch gleichzeitig gelebt. So viel Zeit bleibt heutigen Arten nicht mehr. Die Menschheit reißt im Getriebe ihres Fortschritts immer mehr Spezies in den Tod. Wir sind dabei, das größte »Extinktionsereignis« in der Geschichte des Lebens zu verursachen.
»Darwin hat das gewusst«, sagt Teresa Manera. Deshalb trage ihr Museum zu Recht seinen Namen. Aber warum Carlos, der Mann hieß doch Charles? Da spricht sie ein Wort aus, das ich an dieser Stelle am allerwenigsten erwartet hätte: Falklands. In Punta Alta befindet sich eine große Basis der argentinischen Marine. Viele Opfer des Krieges gegen England 1982 stammten aus der Stadt. Mit einem englischen Namen wäre die Museumsgründerin seinerzeit nicht durchgekommen. »Außerdem«, sagt sie, »schauen Sie doch mal in seinen Papieren nach.«
Wohl dem, der einen gültigen Pass besitzt. Ich reise mit meiner »Ficha Individual Tripulante Via Maritima/Fluvial« mit Fingerabdruck, Foto und fehlerhaft angebrachtem Stempel durchs Land. Darwin hat seinen Pass in Rio verloren und vertraut auf ein Papier, das ihn als »El Naturalista Don Carlos Darwin« ausweist. Was ein Naturforscher sein könnte, davon hatten [sie] keine Vorstellung, das aber nahm meinem Titel nichts von seinem Wert . Der Besitzer einer Posthalterei lässt sich sein Dokument zeigen, denn es seien so viele Räuber unterwegs, dass er keinem traue.
Die Polizeikontrollen habe ich nicht gezählt, und irgendwann auch nicht mehr die Meilen, als ich Darwin vom Río Negro zurück nach Buenos Aires folge. Der Fluss trennt Patagonien von der Pampa, Geröllsteppe im Süden von nutzbarem Weideland im Norden. Zu Darwins Zeiten endete hier die zivilisierte Welt. Immer wieder Stopp für den gesamten Verkehr. Offiziell fahnden die Beamten nach Früchten, über die man mögliche Krankheiten in die Nachbarprovinz einschleppen könnte. Aber was sie eigentlich bezwecken, ist Kontrolle als kleinste Einheit von Herrschaft und Macht. Ihre Präsenz liegt wie ein Schatten über dem Land.
Gemerkt habe ich es weniger an mir - die Uniformierten haben nie nach meinem Pass gefragt - als vielmehr an meinem Begleiter: Rolf Ruest, ein Argentinier zweiter Generation mit deutschen und Schweizer Vorfahren. Sobald ein Kontrollposten in Sicht kommt, wird er nervös und kleinlaut. Er bedauere sein Verhalten, aber das sei ihm während seiner Jugend unter der Militärjunta in Fleisch und Blut übergegangen.
»Rodolfo« ist aus Buenos Aires gekommen, wo er im Goethe-Institut als Medientechniker arbeitet. Die erste Nacht in seinem alten VW-Camper verbringen wir bei El Condor an der Mündung des Río Negro, wo die Beagle ein paar Tage lag. Lagerromantik mit Klapptisch und -stühlen, Bier aus Tassen, Darwins Tagebuch auf dem Laptop, nur der Name des Ortes passt nicht: Statt Kormoranen veranstaltet die weltweit größte Kolonie von Papageien bis zum Dunkelwerden einen Höllenlärm.
Darwin geht hier von Bord und besorgt sich Pferd und Führer. Er hofft, im knapp dreihundert Kilometer nördlich gelegenen Bahía Blanca wieder auf seine Kameraden zu treffen, die mit Vermessungsarbeiten beschäftigt sind. Als das Schiff dort auch nach längerem Warten nicht eintrifft, beschließt er, bis Buenos Aires weiterzureiten - insgesamt tausend Kilometer in fünfeinhalb Wochen. Ich war, wie sie sagen, un grand galopeador , schreibt er an Henslow. Dennoch ein mutiger Entschluss, da die Gegend für blutige Überfälle durch Indianer bekannt ist.
Wir kommen auf den gut ausgebauten Straßen zügig voran, auch wenn der Bulli maximal neunzig Stundenkilometer schafft. Am Morgen brechen wir auf nach Patagones (heute Carmen de Patagones) , etwa 18 Meilen den Fluss hoch gelegen . Im Tempel des Schlesier-Ordens an der Plaza 7 de Marzo bewahren sie bis heute auf dem Altar zwei brasilianische Flaggen auf, zur Erinnerung an den Sieg über den großen Nachbarn 1827, sechs Jahre vor Darwins Besuch. Das Gefecht fand genau an jener Stelle des Flussufers statt, wo er damals an Land ging. Ziemlich bewegte Zeiten, seine Wanderjahre. Ein halbes Jahrhundert nach den Vereinigten Staaten haben sich Südamerikas Länder, die er besucht, gerade erst von den Kolonialherren unabhängig erklärt - Argentinien 1816, Chile 1818, Brasilien 1822, Uruguay 1825.
Die Straße ging uninteressant über eine trockene Grasebene . Bis zum Colorado
gut hundertfünfzig Kilometer Einöde auf der fast schnurgeraden Nationalstraße 3 . Darwin bewundert hier
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