Darwin - Das Abenteuer Des Lebens
Wahrscheinlich liegt es an der fleischlichen Kost, dass die Gauchos, wie andere Fleisch fressende Tiere, lange ohne Nahrung auskommen können . Ich bin bald schon satt zurückgesunken, da essen sie noch lange weiter, nach dem Muskelfleisch das pure Fett in großen Stücken.
Marcello erzählt seinem Freund vom Lebensbaum. Das Bild muss ihm den ganzen Tag nicht aus dem Kopf gegangen sein. Bruno hat schon von Darwin gehört. Der Einundzwanzigjährige ist auf die höhere Schule gegangen und soll bald die Ländereien seines Vaters übernehmen. Mit der Abstammung vom Affen hat er keine Probleme. »Aber was ist dazwischen«, fragt er, »warum gibt es keine Affenmenschen?« Die Frage schwebt im Raum, der sich mit dem Rauch der Zigarillos füllt wie die Welt mit unserem Schweigen. Nur das Öfchen blubbert leise vor sich hin.
»Ausgestorben«, erwidere ich. Sie schauen mich an. »So wie alle unsere Vorfahren gestorben sind. Nachdem ihre Linien sich getrennt haben wie zwei Familien, entwickelt sich jede in eine andere Richtung weiter. Wie die Äste und Zweige an einem Baum.« Mit einem Stock male ich ihnen Darwins wichtigste Entdeckung als Ergebnis seiner
Reise in den Sand: den Baum des Lebens. »Wir bilden die Spitze eines Zweiges. Alle weiteren Abzweigungen seit unserer Trennung vom gemeinsamen Vorfahren mit den Schimpansen sind wieder verschwunden. Das«, ich zeige mit dem Stöckchen darauf, »sind die toten Enden am Lebensbaum.«
Nachts schliefen wir in einer erbärmlichen Hütte, die von den Ärmsten der Armen bewohnt war. Das Bett roch klamm, die Decke zu dünn, der Wind war sehr kräftig und kalt, doch nie schlief ich behaglicher . Als ich erwache, sitzen die anderen schon auf dem Bänkchen vor dem Haus in der Morgensonne und schlürfen ihren Mate. Marcello blickt stumm und ernst in die Leere. »Die toten Enden«, sagt er endlich. »Ich werde dir welche zeigen.«
Wir entfernen uns vom Meer und reiten im Landesinnern über endlose Wiesen, wie sie die Pampa prägen. Hinter einem Wassergraben erstreckt sich ein Feld - Soja, so weit das Auge reicht. »Das macht hier alles kaputt.« Soja bringt den Landwirten pro Hektar doppelt so viel Profit wie Viehzucht. Die Anbauflächen in Argentinien sind zusammen inzwischen fast halb so groß wie Deutschland. Das Saatgut fast ausschließlich genetisch verändert, der Pestizidverbrauch steigt linear mit der Produktion, doch was kümmert das den Weltmarkt? Wachsende Kaufkraft in China, Mehrbedarf an Pflanzenöl in Japan, kleine Verschiebungen im Getriebe der Menschheitsmaschine.
Aber wie soll ein Marcello verstehen, dass ein Großteil der Bohnen in Europa an Kühe verfüttert wird, wo doch das Fleisch aus hiesiger Produktion ohne Hormone, Medikamente oder Kraftfutter so unvergleichlich besser ist? Vielleicht wird auch der Sprit in seinem Pick-up schon bald von Feldern stammen, auf denen er kürzlich noch Vieh zusammengetrieben hat. Argentinien hat gerade wie Nachbar Brasilien ein Gesetz zur Förderung von Biodiesel erlassen. Der Markt macht den Wahnsinn möglich. Steigende Energiepreise bedrohen Wälder und ermuntern Landbesitzer, Treibstoff statt Nahrungsmittel zu produzieren - bis deren Preise wieder lukrativ genug sind.
Wie Oasen liegen alte Gehöfte baumumstanden inmitten der ausufernden Ländereien, der Estancias, verlassen, verwaist, die Gärten überwuchert, die Häuser eingestürzt. Windräder drehen sich sinnlos um die eigene Achse. Marcello sitzt auf einem Haufen Trümmer und spielt mit den Zügeln seines Pferdes. Gürteltiere huschen in ihre Bauten,
Kaninchen hoppeln ins Gebüsch. Genau auf solch einem Hof sei er aufgewachsen, sein Vater ein Gaucho und sein Großvater auch. Sie haben ihm beigebracht, wie man aus dem Stand in den Sattel springt und sich auch die wildesten Pferde mit sanfter Gewalt unterwirft. Doch mit ihm, das weiß Marcello, stirbt der Ast ab. »Das hier«, sagt er, »ist ein totes Ende.«
»Warum können wir nicht mehr so leben wie damals?«, fragt er irgendwann, ohne eine Antwort zu erwarten. »Ein Resthof mit wenig Land würde mir reichen. Die Besitzer haben uns von den Höfen vertrieben, als sie immer mehr Land zu immer größeren Einheiten zusammengefügt haben.« Der frühere Dueño seiner Familie besitze heute fünf riesige Flächen, aber auf denen beschäftige er nur noch einen Gaucho, wo sie einmal zehn waren.
Vetter Jorge, den wir besuchen, hat Arbeit auf solch einem Tausend-Hektar-Land gefunden. Ganz für sich lebt er dort und versorgt
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