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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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jedes Mal ein wahrer Kraftakt. Durch ihr hohes Körpergewicht – Albatrosse werden über zehn Kilogramm schwer – brauchen sie für den Start mindestens 12 km/h Gegenwind. Doch auch dann bedeutet das Abheben körperliche Höchstleistung, der Ruhepuls von etwa 80 Schlägen pro Minute wird auf 230 hinaufkatapultiert. Mit der eben noch gepriesenen Ökonomie des Fluges ist es beim Start vorbei. Eine in allen Bereichen perfekte Evolution hätte die Albatrosse sicher auch zu guten „Bodenturnern“ gemacht. Aber diese scheinbar so große Lande- und Abflugschwäche wird offenbar durch die überragenden fliegerischen Qualitäten kompensiert.
    Die Forderung der Kritiker, dass der absolute Perfektionismus im Falle des Zutreffens der Evolutionstheorie eine unabdingbare Konsequenz der Selektion sein müsse, spiegelt einzig die Nichtbeachtung einer darwinistischen Kernaussage wider. Merkmalsveränderungen, basierend auf DNA-Mutationen und Rekombinationen, erfolgen nicht zielgerichtet. Nur was zufällig entsteht, kann sich bewähren. All diese Mankos sprechen somit für die Funktionalität des Wirkens von zufälliger Bildung und nach Zweckmäßigkeit bemessener Begünstigung. Evolution heißt immer, aus dem zur Verfügung Stehenden das Bestmögliche zu machen. Zwischen bestmöglich und perfekt ist es eben bisweilen ein himmelweiter Unterschied. Andererseits findet man sie durchaus, die erstaunlichen Leistungen, die dem vorstellbaren Optimum sehr nahe kommen. Nach der Beschreibung des doch sehr verbesserungswürdigen Landeverhaltens der Albatrosse, haben gerade die Vögel eine rehabilitierende Ehrenrettung verdient. Der Orientierungssinn von Zugvögeln, die fast punktgenau über tausende Kilometer hinweg navigieren, mutet genial an. Ihr „GPS“ haben sie im Schnabel eingebaut. Direkt in die Schnabelhaut integrierte Eisenatome spielen dabei eine zentrale Rolle. Dieser interne Kompass ermöglicht ihnen auf ihren Fernflügen die Nutzung des Erdmagnetfeldes zur Positions- und Kursbestimmung.
    Ob nun dem Optimum nahe oder eben noch tragbar. Entscheidend ist einzig, dass die Qualität des Gesamtwerkes – des Phänotyps des Gesamtorganismus – ausreicht, den Lebensanforderungen gerecht zu werden. Die elementaren Aufgaben der Nahrungsversorgung, Wohnraumbesiedlung und Fortpflanzung gilt es zu erfüllen, ohne in jedem Bereich der Primus zu sein. Ist dies gewährleistet, kann eine Art auch mit dem einen oder anderen größeren Manko dauerhaft überleben. Und oft genug gilt in der Natur wie im menschlichen Dasein: besser überall guter Durchschnitt als ein „Fachidiot“!
Selektion ist relativ oder: Wie gut ist gut genug?
    Dies ist ein populärwissenschaftliches Buch, und da ist eine allzu wissenschaftliche Ausdrucksweise eigentlich nicht der angestrebte Schreibstil. Hin und wieder aber erfordert die Nachhaltigkeit der Argumente den Gebrauch erklärender Fachbegriffe. Da die Kritiker partout nicht von der Behauptung lassen, Darwin habe einen verkappten Schöpfungsmythos gelehrt, in dem der Selektion die Rolle des kreativen Gottes zugeschanzt wird, scheint es notwendig, eine zwar mathematisch anmutende, aber den Kern der Sache treffende Definition der Selektion zu liefern. Ein nicht dualer, das heißt nicht nach dem Alles-odernichts-Prinzip zwischen den Optionen „überlebender Sieger“ und „auszumerzender Verlierer“ entscheidender Selektionsprozess, lässt sich rein wissenschaftlich auch als
Häufigkeitsverteilung unterschiedlicher Genotypen und zugehöriger Phänotypen
definieren. Einfacher ausgedrückt: Unterschiedliche Merkmalsausprägungen haben verschieden gute Verbreitungschancen. Weniger günstige Erscheinungsbilder werden innerhalb einer Population ausgedünnt, jedoch nicht zwingend notwendig vollständig ausgemerzt. Vielmehr haben auch solche „underdogs“ durchaus längerfristige Überlebenschancen – insbesondere, wenn sie mit günstigen Merkmalen kombiniert sind. Erinnern wir uns: Entscheidend ist das GESAMTwerk, der komplette Organismus. So lebt der Albatros trotz und mit seiner Landungsschwäche insgesamt sehr erfolgreich, und es ist nicht damit zu rechnen, dass ihm aufgrund dieses Makels auf absehbare Zeit das Aussterben droht. Natürlich gibt es genügend lebenswichtige Funktionen, die erfüllt sein müssen, um ein Überleben zu sichern. Allgemein aber lässt sich sagen, dass die meisten Schwächen bis zu einem bestimmten Grad durch Stärken kompensierbar sind – ähnlich wie die „5“ in Englisch durch die

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