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Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand

Titel: Darwin im Faktencheck - moderne Evolutionskritik auf dem Prüfstand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Graf
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„1“ in Mathe ausgeglichen werden kann und so schon manch wenig sprachbegabten Zahlenjongleur vor der schulischen Ehrenrunde bewahrt hat. Die Gesamtleistung muss stets ausreichend sein, für die Versetzung wie für das Überleben in der Natur. Aber wie viel ist ausreichend? Die Frage kommt von Kritikerseite sofort. Die Antwort ist trivial: Alles, was überlebt! Wir können die Fitness nur im Rückblick begutachten („survival of survivors“). Mit dieser Einsicht wird sich ein späteres Kapitel noch eingehend befassen. Es soll gar nicht verschwiegen werden, dass man auch als überzeugter Evolutionist hin und wieder ungläubig den Kopf wiegt angesichts so manch offensichtlichen „Fehlgriffs“, so manch eines Mankos, das uns in der Natur quer durch alle Arten und Gattungen begegnet. Hat die Selektion hier und dort vielleicht doch ein wenig versagt, die Maschen im Netz etwas zu weit gestrickt? Ganz davon abgesehen, dass wir sicher nicht erwarten dürfen, jeder Vorteil erschlösse sich unseren fünf Sinnen, müssen wir erkennen: Nach unseren Maßstäben arbeitet die Evolution nun einmal nicht perfekt, was aber andererseits auch das Geheimnis der immensen Biodiversität ist. Wir selbst sind – wie im letzten Kapitel angesprochen – mit Mängeln nur so übersät, denen sich selbst mit größter Konzilianz kein biologischer Sinn, keine Vorteilhaftigkeit zuordnen lässt. Zwar ist unsere irdische Existenz in evolutionärem Maßstab noch recht kurz. Dennoch ist es für uns schwer nachvollziehbar, wie sich all unsere Grausamkeiten von kriegerischer Gewalt über psychische Terrorisierung bis hin zu sexueller Kriminalität und Pädophilie bis heute gehalten haben, ohne erkennbare Tendenz zur Ausrottung. Kein moralisch fühlender Mensch wird in der Lage sein, dahinter irgendeinen biologischen Sinn zu vermuten, der nur von unserem Intellekt nicht erfassbar ist. Vielmehr spricht alles dafür, dass das selektive Wirken wirklich nur in einer (Chancen)Verteilerfunktion besteht und die Kompensationsmöglichkeiten weit größer sind, als es etwa das Raster menschlicher Moralvorstellung vorgibt. Die Wissenschaft weiß heute noch nicht zu sagen, welche Rolle genetische Dispositionen bei solchen Perversitäten spielen. Aber die entsprechenden Phänotypen sind – wenn auch nur mit vergleichsweise niedriger Frequenz – in allen menschlichen Populationen rund um den Erdball vertreten. Aber auch, wenn wir unser Augenmerk vom eigenen unrühmlichen Auftritt abwenden. Wie die beschriebenen Beispiele gezeigt haben, begegnen uns überall im Pflanzen- und Tierreich Fähigkeiten und Verhaltensweisen, physiologische Abläufe und anatomische Eigenheiten, die unsere Vorstellung von einer nach Perfektion strebenden Evolution in Luft auflösen. Aber das Gesamtkonzept funktioniert und die Unvollkommenheit hält die Evolution am Laufen. Eine Entwicklung, die auf Perfektionismus hinausliefe, so wie die Kritiker es in den Darwinismus immer hineininterpretieren wollen, hätte vergleichsweise schnell ihr Ziel erreicht: Eine ausgedünnte Welt mit überschaubarer Anzahl von „Superstars“ – und was käme dann? An dieser Stelle wäre es Zeit, den Science-Fiction-Autoren die Feder zu überlassen, denn in der Realität wird es so weit nicht kommen. Evolution, wie sie sich uns darstellt, ist die Vereinigung von planloser Produktion und langfristiger Bewertung zu einem produktiven Prinzip. Der erste Schritt aber ist und bleibt zufallsdominiert. Dies ist der Grund, weshalb Perfektionismus nur selten, in Einzelmerkmalen, aber nie allumfassend erreichbar sein dürfte. Für uns macht gerade dieser Sachverhalt das evolutionäre Geschehen so spannend. Für jede Aufgabe ist in der Natur ein Füllhorn alternativer Lösungswege verwirklicht. Je nachdem, was Mutationen und Rekombinationen hervorgebracht haben, gibt es komplexe und einfache, fast perfekt funktionierende und stark verbesserungsfähige Lösungen. Der Vogel Strauß etwa pinkelt sich zum Zwecke der Thermoregulation selbst ans Bein. Der Stoffwechsel seines mächtigen Körpers produziert sehr viel Wärme, die aufgrund der im Verhältnis zum Volumen kleinen Körperoberfläche nicht ausreichend abgestrahlt werden kann. Ein Schweiß produzierendes Transpirationssystem, das dem Körper die zur Verdunstung erforderliche Energie in Form von Wärme entzieht und so einen angenehmen Kühleffekt und Überhitzungsschutz bietet, hat die Evolution dem Strauß nicht geschenkt. Offenbar wurden keine entsprechenden

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