Darwinia
brannten. Der Alkohol half, doch es würde morgen früh werden, ehe er wieder ganz er selbst war.
Wenn er Glück hatte, konnte der Brandy die Träume besänftigen, die einer Manifestation folgten. Diese Träume versetzten ihn unausweichlich in eine kalte Wildnis, eine grenzenlose, graue Wüste, und wenn er aus unangebrachter Neugier oder einfach nur aus Langeweile irgendeinen Stein aufhob, dann war darunter ein Loch, aus dem zahllose Insekten einer unbekannten, scheußlichen Art quollen, vielbeinig, mit Beißwerkzeugen bewaffnet, giftig, und seinen Arm hinaufschwärmten, um in seinen Schädel einzudringen.
Er war kein religiöser Mensch. Er hatte nie an Geister geglaubt, an Tischrücken, Astrologie oder die Wiederauferstehung Christi. Er war sich nicht sicher, ob er jetzt an so etwas glaubte. Alles woran er glaubte, hatte mit dieser einen Gottheit zu tun, die ihn mit solch schrecklicher, unwiderstehlicher Intimität berührt hatte.
Er hatte das Zeug zum Gauner und hatte gewiss nichts gegen einen profitablen Diebstahl, doch im Falle von Mrs. Sanders-Moss, nur um ein Beispiel zu nennen, war nichts dergleichen im Spiel gewesen; sie war ein Mysterium für ihn, ebenso Olivia, das Dienstmädchen, und das Memento mori in der Schuhschachtel. Solche Prophezeiungen überrumpelten ihn. Die Worte, nicht seine eigenen, waren ihm von den Lippen gefallen wie reife Früchte von einem Baum.
Wohlgemerkt, diese Worte leisteten ihm gute Dienste. Doch sie dienten noch einem anderen Zweck.
Diebstahl wäre unendlich viel leichter gewesen.
Doch er genehmigte sich noch ein Glas Brandy und tröstete sich: Der Weg zur Unsterblichkeit ist kein Zuckerschlecken.
Eine Woche verstrich. Er machte sich schon Sorge.
Dann ein Briefchen mit der Nachmittagspost.
Sie hatte mit Eleanor unterzeichnet.
Kapitel Drei
Die Odense ging im provisorischen Hafen der sumpfigen Themsemündung vor Anker, einem Irrgarten aus Kohlenschiffen, Öltankern, Frachtern und Segelschiffen, die von den Außenposten des Empire kamen. Guilford Law, seine Familie, die ganze Finch-Expedition mit ihren Bussolen, Alhidaden, ihrer Trockennahrung und allem Drum und Dran mussten auf die Fähre, die themseauf nach London fuhr. Guilford überwachte höchstpersönlich das Verladen seiner photographischen Ausrüstung – die 8“ x 10“-Glasplatten, die Kamera, die Objektive und das Stativ, alles sorgsam in Kisten verpackt.
Die Fähre war ein kaltes und lärmendes, aber mit großzügigen Fenstern ausgestattetes Dampfschiff. Caroline tröstete Lily, die die harten Holzbänke nicht leiden konnte, derweil Guilford sich ganz dem vorüberziehenden Ufer widmete.
Er sah die neue Welt zum ersten Mal mit eigenen Augen. Die Themsemündung und London waren die einzigen dicht besiedelten Territorien des Kontinents: die bekanntesten und meist gesehenen, oft photographiert, aber immer noch wild – beinah arrogant, dachte Guilford. Das Ufer war eine Wand aus fremder Vegetation, Flötenbäume und Ried verschwammen im Dämmer des kühlen Nachmittags. Die Fremdheit glühte wie ein Stück Kohle in Guilford. Nach allem, was er gelesen und geträumt hatte, war diese unmögliche Wirklichkeit nun zum Greifen nahe; das war keine Illustration in einem Buch, sondern ein lebendiges Mosaik aus Licht und Schatten und Wind. Der Fluss war grün von falschem Lotos, Kolonien gewölbter Schwimmblätter, die im Wasser trieben: eine Gefahr für die Schifffahrt, wie er gehört hatte, vor allem im Sommer, wenn die Blüten in dichten Schwärmen von den Cotswold Hills kamen und die Schrauben der Dampfschiffe abwürgten. Auf dem verglasten Promenadendeck erhaschte er einen flüchtigen Blick auf John Sullivan. Sullivan war 1918 in Europa gewesen und hatte Sammlungen im Rhein-Delta veranstaltet, eine Strapaze, von der er sich offenbar gut erholt hatte; die Augen des Botanikers verrieten eine derart scharfe Beobachtungsgabe, dass eine Unterhaltung mit ihm undenkbar erschien.
Nicht lange, und das Ufer trug die Handschrift des Menschen: improvisierte Hütten, eine verlassene Farm, eine schwelende Müllgrube und schließlich die Ausläufer des Londoner Hafens. Jetzt interessierte sich auch Caroline.
Die Stadt war ein buntes Durcheinander am Nordufer des Flusses. Von Lord Kitchener aus den Kolonien abberufene Soldaten und königstreue Freiwillige hatten sie in die Wildnis hineingeschnitten, und sie erinnerte nicht einmal entfernt an das London eines Christopher Wren: Für Guilford sah sie wie
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