Darwinia
der Themse hinauf, der Bug zerteilte das Wasser, das den Gezeiten unterworfen war und die Farbe von grünem Tee hatte; das Ambiente war tropisch, zumindest um diese Jahreszeit. Eher wie Bombay oder Bihar, gar nicht wie zu Hause.
Er dachte an die Fracht, die unten in den Laderäumen schaukelte. Kohle aus Südafrika, Indien und Australien, ein kostbares Gut in diesen rebellischen Zeiten, da das Empire zerbröselte. Werkzeuge und Gussformen aus Kanada. Und Hunderte von Kisten mit Lee-Enfield-Gewehren [25] aus der Waffenschmiede in Alberta, alle für Kitcheners Spleen bestimmt, aus New London einen sicheren Hort in der Wildnis zu machen, wo bald wieder ein englischer König den Thron besteigen konnte.
Für die Gewehre trug Watson die Verantwortung. Gleich nachdem das Schiff am primitiven Pier festgemacht hatte, befahl er seinen Leuten – einer Handvoll Sikhs und ein paar mürrischen Kanadiern – die Paletten zu sichern und hoch zu hieven; er selbst ging inzwischen an Land, um die Formalitäten bei der Hafenbehörde zu erledigen. Es war stickig heiß und die plumpe, unfertige Holzstadt widersprach allem, was man sich unter London vorstellte. Und doch, erst dieser Anblick führte einem die Verwandlung Europas vor Augen, ein Ereignis, das für Watson bislang in weiter Ferne gelegen hatte, so abwegig und von Grund auf unglaubwürdig wie ein Märchen, ungeachtet der Tatsache, dass es so viele Menschen dahingerafft hatte.
Jedenfalls war das nicht das Land, das er vor zehn Jahren verlassen hatte. Er hatte die Public School ohne Auszeichnung absolviert und die Offiziersschule in Woolwich besucht: hatte eine Kaserne gegen die andere getauscht, lateinische Deklinationen gegen Artillerie-Manöver. In seiner Naivität hatte er G. A. Henry [26] erwartet, ein achtbares Heldentum, Ndebele-Rebellen, [27] die vor seinem Bajonett flohen. Stattdessen fand er sich in einer trostlosen Kaserne in Kairo wieder, um einen Mob von gelangweilten Infanteristen zu beaufsichtigen – bis zu jenem Abend, da schillernde Lichter den Himmel erhellten und die bebende Erde nicht nur das Britische Protektorat in Ägypten in Schutt und Asche legte. Ein ziemlich zielloses Leben, doch nicht ohne die Tröstungen von Freundschaft und Alkohol oder, feiner gesagt, von Gott und Vaterland – bis das Jahr 1912 klarmachte, dass Gott eine Chiffre war, und Er, wenn er denn überhaupt existierte, die Engländer zweifellos verachtet haben musste.
Britanniens Militärmacht hatte sich darauf konzentriert, die Besitzungen in Indien und Südafrika zu stützen. Südrhodesien war gefallen, Salisbury brannte wie ein Herbstfeuer; Ägypten und Sudan fielen an die Moslemrebellen. Watson war aus den feindlichen Trümmern von Kairo befreit und auf einem schrecklich überfüllten Truppentransporter nach Kanada verschifft worden. Er verbrachte Monate in einem Auffanglager in den unbewohnten Wäldern von British Columbia und wurde schließlich in eine Präriestadt verlegt, wo Kitcheners Exilregierung eine Fabrik für Handfeuerwaffen unterhielt.
Vor 1912 war er kein außergewöhnlicher Offizier gewesen. Hatte er sich geändert, oder hatte sich das Militär geändert? Er tat sich als eine Art Vertrauensmann des Offizierskorps hervor; lebte wie ein Mönch, überstand mit erstaunlichem Gleichmut bitterkalte Winter und kraftzehrende, trockene Sommer. Der Gedanke, dass nicht viel gefehlt hatte und er wäre in Kairo von Mahdisten enthauptet worden, erlegte ihm eine gewisse Bescheidenheit auf. Schließlich, als der Wiederaufbau in Schwung kam, wurde er nach Ottawa beordert, wo man dringend Militäringenieure suchte.
Offiziell sprach man von ›Wiederaufbau‹, weniger offiziell von ›Kitcheners Spleen‹: die Errichtung eines neuen London an den Ufern eines Flusses, der nur annähernd die Themse war. Jerusalem mitten in einem grünen und unfreundlichen Land. Nur eine Geste, meinten Kritiker, doch selbst diese Geste war nur möglich, weil es die geschundene, aber immer noch mächtige Royal Navy gab. Die Vereinigten Staaten propagierten die arrogante Forderung, Europa müsse ›frei und offen für eine Wiederbesiedlung ohne Grenzen‹ sein – die sogenannte Wilson-Doktrin, die de facto eine amerikanische Hegemonie, eine amerikanische Neue Welt bedeutete. Die deutsche und die französische Rumpfregierung, gelähmt durch Streitereien um die gegenseitige Anerkennung und den Verlust ihrer europäischen Ressourcen, gaben nach dem ersten Scharmützel auf. Kitchener war es inzwischen
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