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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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Groß und gepflegt, adrett gekleidet und gutaussehend. Vielleicht nicht so gutaussehend, wie er dachte – die schneeweiß blitzenden Zähne erinnerten an ein Pferdegebiss. Vale schätzte ihn auf Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig. Der Bursche war blutjung und für sein Alter viel zu selbstsicher.
    »Nein, Sie kennen mich nicht. Ich bin Timothy Crane.«
    Hände eines Klavierspielers. Lange, knochige Finger. Vale wollte seine Ruhe.
    »Scheren Sie sich zum Teufel!«, wiederholte er.
    »Tut mir Leid, Elias, wir müssen uns unterhalten, ob es Ihnen passt oder nicht.« Der Akzent verriet New England und war aufreizend aristokratisch.
    »Wer sind Sie, noch ein Neffe von Sanders-Moss?«
    »Leider nein. Weder verwandt noch verschwägert.
    Aber ich weiß, wer Sie sind.« Crane lehnte sich zu Vale. Die Nähe war bedrohlich. Cranes Atem kitzelte die dünnen Haare auf Vales rechter Ohrmuschel. »Sie sind der Mann, der mit den Toten redet.«
    »Ich bin der Mann, der es lieber sähe, wenn Sie sich endlich zum Teufel scherten.«
    »Der Mann, der einen Gott in sich trägt. Einen quälenden und anspruchsvollen Gott. Ich weiß, wovon ich rede.«
     

     
    Am Straßenrand wartete ein Taxi auf Crane. Jesus Christus, dachte Vale, was nun? Er hatte das dunkle Gefühl, dass sein Verstand hoffnungslos ins Hintertreffen geriet. Er nannte dem Fahrer die Adresse und ließ sich neben diesem grinsenden Flegel nieder.
    Der Herbst war ruhig gewesen, der Winter noch ruhiger. Die Götter folgten vermutlich ihrem eigenen Terminkalender, und obwohl das Spiel mit Eugene Randall noch nicht zu Ende gespielt war – es war zu zwei weiteren mehr oder weniger belanglosen Seancen gekommen –, schien die Fortsetzung in angenehme Ferne gerückt. Vale hatte sogar die wehmütige Vorstellung genährt, seine Gottheit verliere womöglich das Interesse an ihm.
    Irrtum.
    Der geschwätzige Mr. Crane verstummte in Gegenwart des Kutschers. Vale versuchte sich mit aller Kraft zu ernüchtern – renkte die Schultern nach hinten, runzelte die Stirn und blinzelte –, derweil das Taxi an elektrischen Masten vorüberkroch, die leuchtende Eiskugeln in die frostige Nacht hängten. Ein mörderischer Winter für Washington.
    Schließlich hielten sie vor Vales Reihenhaus. Die Straße war still, alle Fenster enthaltsam finster. Crane zahlte das Taxi, lud zwei immens große Handkoffer aus dem Vehikel, schleppte sie durch Vales Haustür und ließ sie am Schirmständer gehörig aus den Händen rumsen.
    »Sie bleiben eine Zeit lang?«
    »Fürchte, ja, alter Knabe.«
    Alter Knabe? Gott bewahre, dachte Vale. »Haben wir so viel zu besprechen?«
    »Jede Menge. Aber das kann bis morgen warten. Sie brauchen ihren Schlaf, Elias. Sie sind wirklich nicht in Form. Ausgeruht redet es sich besser. Nur keine Umstände. Was mich angeht, ich kann die Knie anziehen, das Sofa ist gerade richtig.«
    Und tatsächlich streckte er sich unverwandt grinsend auf dem Samtsofa aus.
    »Hören Sie, ich bin zu müde, um sie rauszuwerfen. Sollten Sie morgen früh noch hier sein…«
    »Werden wir die Sache besprechen. Gute Idee.«
    Vale warf die Hände hoch und verließ das Zimmer.
     

     
    Für Vale begann der Morgen kurz vor Mittag.
    Crane saß beim Frühstück. Er hatte geduscht und war rasiert. Das Haar war gekämmt. Das Hemd frisch. Er schenkte sich Kaffee ein.
    Vale registrierte unterschwellig den schalen Schweißgeruch, der aus seinen verstopften Poren dampfte. »Wie lange gedenken Sie zu bleiben?«
    »Weiß nicht.«
    »Eine Woche? Einen Monat?«
    Achselzucken.
    »Vielleicht haben Sie es noch nicht bemerkt, Mr. Crane, aber ich lebe allein. Und zwar weil ich es möchte. Ich will keinen Hausgenossen, weder unter diesen noch unter anderen Umständen. Und offen gesagt, man fragt doch wenigstens.«
    »Tun sie doch nie, oder?«
    Die Götter, meinte er.
    »Wollen Sie sagen, mir bleibt keine Wahl?«
    »Mir hat man keine gelassen. Toast, Elias?«
    Wir sind zu zweit, dachte Vale. Das hatte er nicht erwartet. Obwohl es natürlich Sinn machte. Aber wie viele Heimgesuchte liefen da draußen herum? Hunderte? Tausende?
    Er faltete die Hände. »Was führt Sie zu mir?«
    »Immer dieselbe Frage, hm? Schwer zu sagen. Vorerst zumindest. Ich glaube, Sie sollen mich herumzeigen.«
    »Als was? Als meinen Lustknaben?«
    »Als Ihren Vetter, Neffen, unehelichen Sohn…«
    »Und dann?«
    »Und dann tun wir, was man uns zu gegebener Zeit sagt.« Crane legte das Buttermesser zurück. »Ehrlich, Elias, ich kann auch nichts dafür. Und

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