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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie besteht nur aus riesigen Kästen und schnurgeraden Passagen… keine Wasserleitungen, keine Abflüsse, keine Speisekammern, keine Öfen, auch kein Kornspeicher, kein Tempel, keine Arena… diese Stadt ist ein Schlüssel.«
    Schlüssel wozu?, wollte ich fragen.
    Er ließ mir keine Zeit. »Wir haben sie nicht gründlich genug untersucht. Diese Ruine erstreckt sich über Meilen.«
    »Tom hat sich umgesehen.«
    »Kurz. Und auch Tom räumt ein…«
    Was räumt er ein? Doch Sullivan starrte abwesend ins Leere. Ihn jetzt zu drängen, wäre zwecklos gewesen. Seine Gemütsverfassung war mir nur allzu vertraut.
    Darwinia stellt einige von uns auf die Probe. Finch glaubt unerschütterlich, dass dieser Kontinent ein Wunder ist, auch wenn er es vermutlich bedauert, dass Gott sich in das vielsagende Schweigen dieser Hügel und Wälder hüllt. Wohingegen Sullivan nichts bleibt, als sich tagtäglich mit dem Wunderbaren herumzuschlagen.
    Wir tranken unseren Tee und froren unter unseren Armeedecken. Seit dem Überfall bestand Tom auf einer Nachtwache. Zwei Männer am mitternächtlichen Feuer war unsere Bestleistung. Ich frage mich oft, worauf wir eigentlich achtgeben sollen, denn unsere Sicherheitsvorkehrungen haben einem neuerlichen Überfall so gut wie nichts entgegenzusetzen. Man würde uns so oder so überwältigen. Wozu noch Alarm schlagen?
    Doch die Stadt scheint zur Vorsicht zu mahnen.
    »Guilford«, sagte Sullivan nach längerem Schweigen. »Wenn Sie schlafen… träumen Sie da in letzter Zeit?«
    Die Frage überraschte mich.
    »Selten«, sagte ich.
    Aber das war gelogen.
    Haben Träume etwas zu bedeuten, Caroline?
    Ich glaube nicht an Träume. Ich glaube nicht an den Wachsoldaten, der so aussieht wie ich, auch wenn er immer wieder da ist, sobald ich die Augen schließe. Zum Glück reitet Sullivan nicht darauf herum, wir schweigen und sitzen die anberaumte Zeit einfach nur aus.
     

     
    Mitte Januar. Unerwartete Ausbeute der letzten Jagd: reichlich Fleisch, gebraten und schmackhaft zubereitet, Winterkeime, sogar zwei darwinische ›Vögel‹ – Nachtfalken, hirnlose, zweibeinige Kreaturen mit lederartigen Flügeln, die aber wie Lammfleisch schmecken, vor allem saftig und kräftig. Alle aßen mit großem Appetit, außer Paul Robertson, der eine Grippe auskuriert. Selbst Finch lächelte anerkennend.
    Sullivan gibt keine Ruhe, er will die Ruinen untersuchen – er ist wie besessen von der Idee. Und jetzt, da wir unsere Speisekammer gefüllt haben und das Wetter etwas milder wird, da will er zur Tat schreiten.
    Als Handlanger und Gepäckträger hat er Tom Compton und mich auserkoren. Morgen brechen wir auf, eine zweitägige Exkursion ins Herz der Stadt.
    Ob das wohl vernünftig ist? Um ehrlich zu sein, ich fürchte mich ein bisschen.

 
Kapitel Sechzehn
     
     
     
    Der Winter in London war ungewöhnlich kalt, Caroline konnte sich nicht erinnern, in Boston jemals einen so scharfen Winter erlebt zu haben. Ein Wolfswinter, wie Tante Alice ihn nannte. Die Versorgungsschiffe kamen seltener, seit die Themse im Eis erstickte, obwohl der Hafen nur so kochte vor Industrie und die Schornsteine den Himmel verrußten. Jedes Haus in London trug dazu bei: eine rußige Fahne, wer Kohle verfeuerte, eine graue, wer Torf oder Holz verbrannte. Mittlerweile fand Caroline einen gewissen Trost in diesen düsteren Rauchwolken, sie symbolisierten, dass die Wildnis an Terrain verlor. Caroline begriff inzwischen, was London wirklich war: keine ›Siedlung‹ – wer wollte schon in diesem kontraproduktiven, garstigen Land siedeln? – nein, London war ein Brückenkopf gegen eine allzu widerspenstige Natur.
    Letzten Endes gewann die Natur ja doch. Das tat sie immer. Doch Caroline freute sich mittlerweile über jede gepflasterte Straße und jeden gestürzten Baum.
    Mitte Januar brachte ein Dampfer eine Warenladung, die Jered letzten Sommer bestellt hatte. Darunter Ketten- und Seilmaterial auf gewaltigen Spulen, Paletten voller Nägel, Pech und Teer und Bürsten und Besen. Jered mietete einen Fuhrmann, der die Ware eine Woche lang jeden Morgen vom Lagerhaus zum Geschäft karrte. Heute schleppte Jered die letzte Fuhre in den Vorratsraum und zahlte den Fahrer aus, dessen Pferde kleine Dampfwolken in die zugige Seitengasse schnaubten, derweil Caroline und Alice im Laden um- und einräumten. Tante Alice arbeitete unermüdlich, wischte immer wieder die Hände an der Schürze ab und redete kaum.
    Sie mied Carolines Augen. So war sie schon seit Monaten:

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